Bernhard Peter
Fabelwappen und Phantasiewappen
bei Virgil Solis

Fabelwappen bei Virgil Solis (1514-1.8.1562):
Bis ins 16. Jh. tauchen die Fabelwappen in heraldischen Kompendien auf, zu stark verwurzelt war das Bedürfnis nach "Ordnung" auch im vorheraldischen Bereich, und in Sammelwerken der wappenführenden Institutionen und Geschlechter wurden auch vorheraldische historische Personen oder mythologische Figuren mit den ihnen nachträglich zugeschriebenen bzw. angedichteten Wappen dargestellt. Hier einige Werke von Virgil Solis (in allen nachfolgenden Abb. ist die typische VS-Signatur zu sehen):

 

CAESAR CAROLVS - das stellt den Karolinger-Kaiser Karl den Großen dar. Er lebte ca. 747/748-28.1.814. Karl regierte ab dem 9.10.768 als König des Fränkischen Reiches und ist daher der geistige Stammvater zweier großer Reiche, des französischen Königreiches und des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Beide Länder führen die Anfänge ihrer Nationalgeschichte auf Karl den Großen zurück. Dazu war er es, der ab dem 25.12.800 als Römischer Kaiser regierte und das römische Kaisertum wiederbelebte. Auch daher gilt er seit dem Mittelalter als bedeutendster Herrscher des christlichen Abendlandes. Diese Sichtweise spiegelt sich in dem ihm angedichteten Wappen wider: Es ist gespalten, rechts in Gold ("G") ein halber schwarzer, golden nimbierter Adler am Spalt, links blau ("P") und mit goldenen Lilien besät. Die Schraffuren und Punktierungen bei Virgil Solis sind noch keine Farbcodierungen; sondern die Tinkturen werden durch Buchstaben angegeben. Das Wappen des deutschen Kaiserreiches wurde so mit dem des französischen Königreiches (alte Form) vereint. Tatsächlich hat Karl der Große rund drei Jahrhunderte vor den ersten Wappen gelebt, und er hat nie ein Wappen geführt oder gesehen. Aber dem Künstler (und seiner Zeit) war es wichtig, Karl als den Stammvater der viel später entstandenen Nationalstaaten Frankreich und Deutschland zu zeigen.

 

HECTOR VO DROI - das stellt Hector von Troja dar, den Bruder des Paris und Sohn des trojanischen Königs Priamus, der bei der Verteidigung von Troja erst den Griechen Patroclus im Kampfe erschlug und daraufhin von Achill getötet wurde. Er war einer der legendären Helden der Antike. Hier wird er darstellerisch ins 16. Jh. katapultiert, wie allein schon die Schildform der Tartsche mit Einbuchtungen und Rollwerk aber auch nichts gemein hat mit den runden Schilden der Antike, wie sie auf antiken Keramiken überliefert sind. Hectors Schild zeigt in mit Kleeblättern bestreutem Schild einen Schrägbalken, belegt mit drei Löwentatzen, wobei sich eine ganz ähnliche Darstellung im Wappenbuch von Nikolaus Bertschi (BSB Cod. icon. 308) aus dem Jahre 1519 findet. Tatsächlich kannte Hector allerhöchstens mit phantasievollen Ornamenten oder Figuren dekorierte Rundschilde, die in keiner Weise etwas mit Wappen zu tun hatten, denn diesen fehlten wichtige Eigenschaften, die ein Wappen zu einem solchen machen. Prinz Hector wird in systematischen Auflistungen i. a. unter den "drei guten (oder besten) Heiden" geführt.

 

CVNNIG ARTVS - hier wird der mythologische König Artus dargestellt, in die Gegenwart der Renaissance mit einer prächtig geschmiedeten Rüstung projiziert. Ihm wird ein Schild beigelegt, der in Rot ("R") 3 (2:1) goldene Kronen zeigt, ein allgemein ihm beigelegtes, aber nicht ausschließliches Wappen, wie der Vergleich historischer Wappenbücher zeigt. Tatsächlich spielt die Artussage im 5. Jh. n. Chr., und die Geschichten um König Artus, wenn er denn je eine historische Figur gewesen wäre, hätten etliche Jahrhunderte vor den frühesten Wappen stattgefunden. Tatsächlich ist die erst im Mittelalter entstandene Artuslegende vor dem Hintergrund der Neuordnung der Strukturen auf den britischen Inseln nach dem Abzug der Römer zu sehen, als sich die Bevölkerung gegen die eindringenden Angelsachsen behaupten mußte. Die Idee eines solchen Königs verselbständigte sich, wurde geglaubte Geschichte, und entsprechend wurde König Artus auch mit einem Wappen ausgestattet, um ins zeitgenössische Paradigma eingebaut werden zu können. König Artus wird in systematischen Auflistungen i. a. unter den "drei guten (oder besten) Christen" geführt.

 

HERCZOG GOTFRIDT - hier wird Gottfried abgebildet, wobei hier die historische Figur des Gottfried von Bouillon gemeint ist. Sein Schild zeigt in Rot ("R") ein goldenes ("G") Jerusalemkreuz, also ein Krückenkreuz, das in den Ecken von vier kleinen schwebenden griechischen Kreuzen bewinkelt ist. Das Symbol des Königreichs Jerusalem war in Silber ein goldenes Jerusalemkreuz. Gottfried von Bouillon, erster Regent des Königreichs Jerusalem, wurde um 1060 geboren und er starb am 18.7.1100 in Jerusalem. Eine Darstellung auf den Fresken der Burg Manta zeigt ihn in silbernem Wappenrock mit rotem Jerusalemkreuz, einmal auf der Brust und einmal auf jeder Schulter. Eine weitere, spätere Darstellung in der Hofkirche Innsbruck zeigt ihn ebenfalls mit dem Jerusalemkreuz auf dem Schild. Herzog Gottfried wird in systematischen Auflistungen i. a. unter den "drei guten (oder besten) Christen" geführt.

Fabelwappen im Wappenbüchlein von Virgil Solis (1514-1.8.1562):
Die nachfolgenden Abbildungen stammen aus seinem 1555 in Nürnberg erschienenen Wappenbüchlein:

Auch bei Virgil Solis finden sich die "ersten Wappen in der Welt", "ABYSEY", in Rot ("r") ein mit mehreren hebräisch aussehenden Schriftzeichen belegter goldener ("g") Balken, GANAMEVS, in Silber ("w") ein roter ("r") , mit einer goldenen ("g"), gestielten Schelle belegter Pfahl, begleitet von zwei blauen ("b"), hebräisch aussehenden Schriftzeichen und "SABITEY", in Blau ("b") ein goldener ("g"), mit drei roten "r"), hebräisch aussehenden Schriftzeichen belegter Schrägbalken. "ABYSEY" und "SABITEY" finden sich bis auf marginale Unterschiede analog in einem süddeutschen Wappenbuch (BSB 392d) aus der 1. Hälfte des 16. Jh., dort wird dem mittleren Wappen allerdings der Name "BANANIAS" zugeordnet. Welcher dieser Phantasienamen zu welchem Phantasiewappen gehört, ist heute wie damals jedoch völlig irrelevant, wichtig ist die Botschaft einer inhärenten Struktur und Systematik, und entsprechend der Verwurzelung der christlich-abendländischen Kultur in der jüdischen Kultur verlegte man die Wurzeln des heraldischen Erbes ebenfalls in die jüdische Formensprache mit den Schriftzeichen. Inhalte und Namen sind austauschbar, das ordnende Element allein ist wichtig, denn heraldische Verzeichnisse waren zugleich ein Abbild der Ordnung in dieser Welt.

Darunter bildet Virgil Solis die Wappen für die drei Heiligen Könige ab: CASPAR bekommt in Blau ("b") 9 goldene Sterne, acht bordweise und einer in der Mitte. Ganz ähnlich wird sein Wappen in einem süddeutschen Wappenbuch (BSB 392d) aus der 1. Hälfte des 16. Jh. abgebildet, aber es findet sich auch ganz andere Versionen. Im Codex Haggenberg ist es Melchior, der in Rot 7 (1:2:1:2:1) goldene Sterne zugewiesen bekam. Der nächste in der Reihe bei Virgil Solis ist BALTHASER. Sein mit einer Heidenkrone gekrönter Schild zeigt in Blau ("b") eine goldene ("g"), mit den Spitzen nach links gerichtete Mondsichel, die einen ebenfalls goldenen ("g") Stern einschließt. Zum Vergleich: In einem süddeutschen Wappenbuch (BSB 392d) aus der 1. Hälfte des 16. Jh. ist genau dieses Motiv Melchior zugewiesen. Im Codex Haggenberg ist es Caspar zugewiesen. Der dritte Schild bei Virgil Solis zeigt in Gold ("g") einen Mohren mit abflatternder Stirnbinde und mit roter ("r") Fahne in der Rechten und mit einem dreimal silbern-rot ("w", "r") gespaltenem Schild in der Linken. In einem süddeutschen Wappenbuch (BSB 392d) aus der 1. Hälfte des 16. Jh. ist das Mohrenmotiv König Balthasar beigelegt, und im Codex Haggenberg ebenfalls. Auch bei dieser Triade wird deutlich, daß nicht die einzelne Zuordnung, die per se nicht korrekt sein kann mangels heraldischer Grundlagen um Christi Geburt, von Bedeutung ist, sondern die ordnende bzw. einordnende Eigenschaft der Triade an sich.

Virgil Solis bildet etliche weitere Fabelwappen ab für Königreiche, Kontinente und Landschaften, die alle nur dem Zweck dienen, diese Einheiten wahrzunehmen und in das Weltbild zu integrieren - mit den damaligen Methoden einer ikonographisch definierten Zuweisung eines Wappens. ARABIA = Arabien, INDIA = Indien, AFRICA = Afrika - unter diesen geographischen Begriffen vermögen wir uns noch etwas vorzustellen, auch wenn die Wappenführung von Ländern noch in weiter Ferne ist und die von Kontinenten auch heute noch nicht üblich ist.

Besonders interessant ist die Listung eines Wappens BARBARIA für die Barbarei, goldener ("g") Adler in Schwarz, auf der Brust mit einer beiderseits abgeledigten Leiste belegt. Das ist nichts anderes als der Adler der deutschen Könige in invertierten Farben, quasi als Antithese zur Kulturnation, Barbarei eben, zusätzlich noch mit der kurzen Leiste belegt, was eine zusätzliche Minderung darstellt (vgl. die Verwendung von Einbrüchen etc.). Und bei weiteren Wappenschilden verweisen schon bereits die Namen in das Reich der Phantasie, Ausdruck einer Zeit, in der die Außengrenzen der bekannten Welt durch Entdecker durchbrochen wurden und man stets auf Integration des Unbekannten gefaßt sein mußte.

Literatur, Quellen und Links:
Die heraldischen Abb. historischer Künstler auf dieser Seite sind dem Werk entnommen: Georg Hirth (Hrsg., lebte 13.7.1841-28.3.1916): Der Formenschatz (früher: Der Formenschatz der Renaissance). Eine Quelle der Belehrung und Anregung für Künstler und Gewerbetreibende, wie für alle Freunde stylvoller Schönheit, aus den Werken der besten Meister aller Zeiten und Völker. Leipzig, Georg Hirth Verlag, 1884, ca. 32 x 24 cm. Textwerk mit losen Tafeln. Da die Künstler, Autoren und der Herausgeber länger als 70 Jahre nicht mehr leben, handelt es sich mittlerweile um gemeinfreie Werke.
Bertschi, Nikolaus: Wappenbuch besonders deutscher Geschlechter - BSB Cod. icon. 308, Augsburg 1515 -
http://mdzx.bib-bvb.de/codicon/Blatt_bsb00001364,00052.html und folgende
Wappenbuch - BSB Cod.icon. 392 d, Süddeutschland 1. Hälfte 16. Jh. -
http://mdzx.bib-bvb.de/codicon/Blatt_bsb00018706,00087.html?prozent=1 und folgende
Wappenbuch von Hans Haggenberg, St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 1084.
http://www.e-codices.unifr.ch/en/csg/1084/11/medium oder größer http://www.e-codices.unifr.ch/en/csg/1084/9/large
Virgil Solis Wappenbüchlein:
http://diglit.ub.uni-heidelberg.de/diglit/solis1555/0050?sid=73b98d6d0646f6e2f55e8e8ce3bd6ba4 - Nürnberg 1555, nachträglich kolorierte Version

Fabelwappen - Fabelwappen bei Israhel van Meckenem

Zurück zu Heraldik-Regeln

Home

© Copyright / Urheberrecht am Text: Bernhard Peter 2012
Die Abb. sind selbst angefertigte Scans historischer, aufgrund ihres Alters gemeinfreier Originale.
Sofern bekannt, ist der Urheber bei der jeweiligen historischen Graphik angegeben.
Impressum