Bernhard Peter
Einführung in die Heraldik: Was ist ein Wappen?

Wappen haben ihren Ursprung in der Blütezeit des Mittelalters. Mit zunehmender Umhüllung der Ritter durch ihre Rüstungen und geschlossenen Helme waren sie bei Schlachten und Turnieren nicht mehr als individueller Mensch wahrzunehmen bzw. voneinander zu unterscheiden, ein Problem, das zu lösen lebenswichtig sein konnte. Dazu gehörte es zu den Notwendigkeiten, in einem Zweikampf, ob in der Schlacht oder im Turnier, stets zu wissen, mit wem man kämpfte, denn damals war man weit von der Anonymität moderner Gefechte entfernt. Es mußten daher andere Möglichkeiten gefunden werden, um die Rüstungsträger unverwechselbar zu kennzeichnen, so daß man stets wußte, mit wem man es zu tun hat, wen man aus dem Sattel gestoßen hatte und wen man als seinen Gefangenen betrachten konnte. Kriegerische Taten und ritterliches Verhalten im Kampfe genossen eine sehr hohe Wertschätzung, und Idenifizierung des Betreffenden war zugleich Garant für den gebührenden Lohn, für das Bekanntwerden der eigenen Leistungen und Tapferkeit. Und ebenso war es nötig, Turnierkämpfer identifizieren zu können, damit Juroren und Zuschauer ihr Verhalten und ihre Leistungen bewerten konnten.

Das Naheliegende wurde gewählt: Man versah Helm und Schild mit bunten Zeichen, möglichst individuell, kontrastreich und klar erkennbar, wobei sich der Schild naturgemäß eher für die flächigen Darstellungen und der Helm eher für die plastischen Darstellungen eignete. Schon früher gab es Schildbemalungen, die aber nur dekorativen Zwecken dienten, jetzt wurde daraus ein individualisierendes Merkmal, ein Erkennungsmerkmal. So gekennzeichnete "Waffen" wurden dann zu "Wappen", denn die Kennzeichnung erwies sich als hervorragendes Mittel, um Rüstungsträger unverwechselbar zu machen.

Erst ein persönliches Abzeichen, aus der Notwendigkeit geboren, wurden die Schildbilder bald in der Familie weitergegeben. Ab dem 13. Jh. wurden sie Familienzeichen. War erst der einzelne Ritter als Repräsentant seiner Familie Träger der Farben und Formen seines Wappens, wurde bald das Wappen Symbolträger für die Familie selbst. Die auf den Schilden angebrachten Zeichen standen nun nicht mehr für eine Einzelperson, sondern für das ganze Geschlecht - der Übergang zum echten Wappen, zum dauerhaften Sinnbild einer Familie, war damit vollzogen. Was jemand "im Schilde führte", wurde gleichbedeutend mit der Zuordnung zu einer bestimmten Familie und allem, was man mit ihr assoziierte. Und was einst als militärisches Erkennungsmerkmal begann, wurde nun zu einem friedlichen, allgemeinen Kennzeichen von Familien, so sehr, daß keine erklärenden Worte notwendig waren, sondern das Bild als Identifikationszeichen genügte. Und vor allem wurden Wappen Kennzeichen von Besitz. In dem Maße, in dem die ritterliche Kultur durch andere Gesellschaftsmodelle ersetzt wurde, vollzog sich der Übergang von tatsächlichen Waffen zu dargestellten Waffen, das Prinzip aber zieht sich als Konstante durch die abendländische Geschichte.

Damit verkörpern Wappen auch Rechte. Ein Wappen war als äußeres Kennzeichen einer Zugehörigkeit, eines Besitzes, eines Vorrechtes oder einer Körperschaft anerkannt. Diese Rechte können unterschiedlicher Natur sein, in feudalen Zeiten waren es Rechte auf Ländereien, auf Grafschaften, auf Burgen und Schlösser, auf Privilegien, auf Eigentum allgemein, bei Amtsträgern waren es Rechte als Amtsinhaber, bei Familien allgemein - in auch in heutiger Zeit gültig - Rechte auf den Familiennamen. Damit wurden Wappen auch zu Herrschafts- und Hoheitszeichen. Und entsprechend dem Übergang dieser Rechte gingen Wappen auf andere Personen über. Dieser Aspekt der Kennzeichnung von Rechten, und mit der Kennzeichnung auch der Geltendmachung von Rechten dürfte in der Praxis sogar der relevantere sein, denn entgegen verklärender Mittelalterwahrnehmung bestand der überwiegende Alltag der wappenführenden Familien nicht aus ritterlichem Kampf, sondern aus der täglichen Wahrnehmung, Abgrenzung, Erhaltung, Vermehrung und Durchsetzung von Rechten.

Dazu kommt, daß die Kultur - auch die literarische - des Mittelalters stark vom Visuellen geprägt war. Wappen sind visuelle Kennzeichen, und Wappenkunde war nicht nur Mittel zum Zweck der Übermittlung genealogischer Informationen, sondern Mittel der Sichtbarmachung von Geschichten, Episoden, Anekdoten und der Verherrlichung von Leistungen in der ritterlich-höfischen Welt und damit Träger kultureller Informationen.

Zu Anfang war die Verbindlichkeit der Zeichen noch nicht in dem Maße gegeben wie später. Manche Familien benutzten mehrere Symbole, die Schildbilder wurden auch mal nach eigenem Gutdünken verändert, ihre Anzahl und Anordnung variiert. Ab ca. 1140 bildeten sich nach und nach Übereinkünfte und später verbindliche Regeln für die Präsentation der Zeichen auf den Schilden heraus - die Wissenschaft und die Kunst der Heraldik war geboren. Heraldische Prinzipien sorgten für Eindeutigkeit und Klarheit der Zeichen. Wappen wurden verbindlich, ihre Verwendung auch rechtsverbindlich. Die Wappenkunst wurde damit sehr schnell systematisiert und die Kenntnis von Wappen wurde zu einem wichtigen Bereich der weltlichen Gelehrsamkeit der ritterlichen Kultur.

Damit haben wir die vier wesentlichsten Eigenschaften des Wappenwesens herausgearbeitet: Die Zeichenhaftigkeit, die Verknüpfung mit Rechten, die Weitergabe in der Familie nach bestimmten Regeln und die regelgerechte Anordnung und Beschreibung heraldischer Symbole.

Diesen Eigenschaften eines Wappens begegnen uns überall: An Burgen und Schlössern künden sie über Eingängen, Portalen, Kaminen, Fenstern etc. von Eigentum und Herrschaft, und ebenso sind sie im Kleinen auf Gebrauchsgegenständen zu finden als Eigentumszeichen oder z. B. auf Exlibris zur Kennzeichnung des Eigentums an Büchern; und als Hoheitssymbole begegnen uns Wappen heute auf Münzen, Uniformen, Grenzsteinen oder -pfählen. Als visuelles Identifizierungszeichen sind Wappen ferner Bestandteile von Siegelgestaltungen. In der Funeralheraldik dient die Heraldik der Erinnerung, der Identifizierung und der visuellen Darstellung von Genealogien.

Das System der Wappen, der symbolhaften bildlichen Assoziation, des Identifikationssymboles für eine Familie hatte sich so bewährt, daß es auch noch lange nach der ritterlichen Kultur Bedeutungsträger ist und die damals geschaffenen Zeichen auch heute noch von ungebrochener Ausstrahlung und Faszination zugleich sind, sei es in Form von Familienwappen oder staatlichen Hoheitszeichen. Heraldik ist damit, damals wie heute, ein integraler Bestandteil der abendländischen Kultur, und zugleich eine Brücke zwischen Geschichte und Gegenwart.

Literatur, Links und Quellen:
Heinrich Hussmann: Über deutsche Wappenkunst: Aufzeichnungen aus meinen Vorlesungen, Guido Pressler Verlag, Wiesbaden 1972
Wappenfibel, Handbuch der Heraldik, hrsg. "Herold", Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften, Verlag Degener, Neustadt 1981
Walter Leonhard: Das große Buch der Wappenkunst, Bechtermünz Verlag 2000, Callwey Verlag 1978
Georg Scheibelreiter: Heraldik, Oldenbourg Verlag Wien/München 2006, ISBN 3-7029-0479-4 (Österreich) und 3-486-57751-4 (Deutschland)

Übersicht

Home

© Copyright Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2004, 2010
Impressum