Bernhard Peter
Heraldischer Widerhall von Schildverstärkungen

Woher kommen eigentlich die Schildfiguren? Natürlich gibt es die einfachen geometrischen Schildteilungen, die aufgrund ihrer Zeichenhaftigkeit gewählt wurden, es gibt gemeine Figuren; die aufgrund ihrer Symbolik oder ihrem Bezug zum Schildträger, sei es durch Namen oder Assoziation, gewählt wurden. Es gibt aber auch eine gar nicht so kleine Gruppe von Schildfiguren, die einen heraldischen Widerhall vorheraldischer Schildverstärkungen darstellen.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Konstruktion des frühmittelalterlichen ritterlichen Schildes: In der Mitte des 12. Jh. war der vorherrschende Typus der sogenannte Normannenschild, der Ausgangspunkt unserer folgenden Überlegungen. Er ist mandelförmig, oben rund, unten spitz zulaufend. In der Höhe der dahinter verborgenen Hand befindet sich ein eiserner Schildbuckel, der ursprünglich dem Schutz derselben diente, aber schon in seiner Größe reduziert wird. Der Buckel wird ergänzt durch radial oder kreuzförmig von ihm ausstrahlende Metallstreifen, die mehr oder weniger verziert waren, an den Stellen, wo sie festgenagelt wurden, breiter ausgeschmiedet sind und „Schildgespänge“ genannt werden. Dieses diente vor allem der Verstärkung und der Verhinderung des Spaltens des aus Holz gefertigten Schildes, und, wenn wir es schon mal haben, auch als dekoratives Element. Der Frontschutz wurde also im Laufe der Zeit verändert: Aus einem einst großen Schildbuckel wurde ein kleiner, der ringsum vom Schildgespänge umgeben war. Der Hintergrund für diese Veränderung war die veränderte Konstruktion auf der Körperseite des Schildes. Hier war der einst hinter dem Buckel vorhandene Griff verschwunden, es kamen nun zwei senkrecht angebrachte Lederschlaufen zum Einsatz, eine für den Unterarm, die andere für die Faust, so daß der Schild fest auf dem angewinkelten Arm saß. Alternativ gab es ein System von vier im Quadrat angebrachten Lederriemen, das bezüglich der Armhaltung variabler war. Deshalb konnte und mußte der Schutz in die Breite gehen und der Metallbeschlag flächiger werden - und trotzdem so wenig Gewicht wie möglich haben - das Schildgespänge war geboren.

Der Normannenschild war schon bald ein „Auslaufmodell“, um 1150 gab es schon die ersten Dreieckschilde mit scharfen Winkeln an den oberen Ecken und Gesamtform eines gleichschenkligen Dreiecks. Der Normannenschild verschwand endgültig zu Beginn des 13. Jh. In dieser „Überlappungszeit“ gab es natürlich jede Menge Übergangs- und Mischformen. Auch der Dreiecksschild wurde anfangs noch mit kleinem Schildbuckel und Schildgespänge versehen. In dieser Zeit überlappen sich viele Formen: Es gab Dreieckschilde mit nur Gespänge, es gab solche mit nur heraldischer Bemalung, es gab solche mit Gespänge in heraldischer Verwendung und Bemalung, es gab solche mit Gespänge, die komplett heraldisch übermalt und wobei die Form des Gespänges ignoriert wurde.

Ein bekanntes Beispiel ist die Emailplatte des Geoffroy Plantagenet, Graf von Anjou, in Le Mans (nach seinem Tod 1150 entstanden): Sie zeigt einen Dreieckschild mit Schildbuckel, mit kreuzförmigem dünnen Gespänge und mit heraldischer Bemalung (in Blau (!) sechs (3:2:1) goldene Löwen).

Ein ebenfalls wunderschönes Beispiel findet sich beim Graf Wilhelm von Camburg unter den Stifterfiguren des Naumburger Westchores, welche auf das Jahr 1250 datiert werden: Der in die Länge gezogene Dreieckschild hat einen breiten Rand mit umlaufender Inschrift, einen Buckel mit in sechs Richtungen laufendem dünnen Gespänge, das in von je zwei Volten begleiteten Abschlüssen endet, die schon eine Art Lilienform anklingen lassen, und zusätzlich eine Bemalung.

Es ist davon auszugehen, daß dieses Gespänge seinen heraldischen Widerhall in diversen Formen gefunden hat. Das Glevenrad (Abb. oben), das Lindenblattrad (Abb. unten) etc. zeigen deutlich ihre Verbindung zu radial angebrachtem Schildgespänge. Dazu kann man, einmal darauf aufmerksam geworden, bei manchen speziellen Kreuzformen oder Schrägkreuzen auch sinnieren, ob eine Verbindung zu Schildgespänge möglicherweise besteht. Auch Maueranker oder Ankerkreuze könnten ihre Wurzeln in einem zentralen Schildbeschlag haben.

Dabei ist das Glevenrad ein sehr verbreitetes Motiv, es kommt z. B. bei den Familien der Bechel von Siersberg, der Hausmann von Namedy, der Mant von Limbach, der von Kottenheim, der von Schönburg auf Wesel (Abb. links unten, in Oberwesel), der von Greiffenclau zu Vollraths (Abb. rechts unten, am Zobelschloß in Giebelstadt), der von Liebenzell, der von Echzell, der von Bock, der in Frankfurt vorkommenden von Kriftel, der in Straßburg vorkommenden von Burggrave u.v.a.m. vor. Prominentestes Beispiel sind die Herzöge von Kleve. Und auch ein bekannter Historiker und Heraldiker führt es in seinem Wappen, allerdings kombiniert mit viel Kleinklein, Carl Joseph Felix Ferdinand Hauptmann, geb. 8.2.1856, Prof. d., Rechte zu Freiburg in der Schweiz und Autor einer bekannten Arbeit über Wappengruppen. Auch in Kommunalwappen kommt es vor, z. B. in dem der Gemeinde Schiffweiler. Interessant ist, daß das Glevenrad relativ häufig mit einem Schildchen in der Mitte versehen ist, welches vom Motiv überdeckt wird: Das ist offensichtlich der zur Graphik gewordene Schildbuckel, der Schutz für die Hand dahinter.

 

Das waren aber nicht die einzigen Verstärkungen, die aus Metall angebracht wurden. Wir können überlegen, ob sich nicht mit großer Wahrscheinlichkeit ein Schräggitterkreuz (Abb. unten, oberer Teil) oder ein verflochtenes Schräggitter (Abb. unten, unterer Teil) von diagonal über den Schild genagelten metallenen Verstärkungsleisten ableiten.

Beispiele für Wappen mit einem solchen Schräggitter: Abb. links unten: Wappen der von Daun-Densborn, in Rot ein silbernes Schräggitter, im Deckengewölbe der Kirche von Septfontaines (Luxemburg). Abb. Mitte: Kirche von Wassenach, Epitaph der Margarethe von Daun. Abb. rechts unten: Wappen der Dunegin von Daun auf einer Grabplatte an der katholischen Pfarrkirche in Zell-Merl, in Gold ein rotes Schräggitter, mit einem blauen, mit zwei silbernen Lilien belegten rechten Obereck zur Linien-Differenzierung. Die Dauner bilden mit ihren vielfältigen, häufig durch ein rechtes Obereck mit individuellen Inhalten vorgenommenen Differenzierungen eine eigene Wappengruppe.

   

Bekannt ist auch das Wappen von Navarra mit seinem Netz aus Ketten - es ist gut vorstellbar, daß einst mit 9 kräftigen Nägeln die Ketten als Variante der Schildverstärkung aufgenagelt worden waren und auf diese Weise zu solchen Motiven geworden sind.

Wie verhält es sich mit sonstigen metallenen Beschlägen? Grundsätzlich war das Material mittelalterlicher Schilde Holz, insbesondere Lindenholz. Dieses wurde mit Leder oder Rohhaut überzogen, in seltenen Fällen auch mit mehreren Schichten Leinwand. Ziel war es, eine gute Schutzwirkung bei möglichst annehmbarem Gewicht zu erreichen. Aus dem Grunde gibt es in dieser frühen Zeit auch keine Schilde, die ganz mit Metall beschlagen sind oder gar ganz aus Metall gefertigt waren, sowohl weil sie wegen des Gewichtes in ihrer Funktion den Holzschilden unterlegen waren als auch wegen der Verletzungsgefahr für Roß und Reiter bei heißem Ritt oder Getümmel. Metallene Dreieckschilde hat es im gesamten Mittelalter nicht gegeben. Sie sind unhistorisch für diese Zeit und sie kamen erst im 16. Jh. auf.

Ein empfindlicher Teil des Schildes war der Rand, denn ein Schwerthieb dorthin konnte leicht das Holz spalten. Randverstärkungen an Dreieckschilden finden sich häufig in alten Darstellungen – in Form von relativ breiten deutlich abgesetzten Borden. Es liegt auf der Hand, daß heraldisch verwendete Borde eine Wurzel in diesen Verstärkungen haben könnten, desgleichen das Nesselblatt in einem zackig ausgeschnittenen Bord (Abb. oben), wie es z. B. in den Wappen der von Schaumburg, der Grafschaft Holstein, dem Landeswappen von Schleswig-Holstein etc. auftaucht. Gedornte Borde könnten ihre Wurzeln in gezackten Randverstärkungen haben. Welches war nun das Material dieser Borde? Eine dünne Metallauflage? Leder? Wir können es nicht belegen. In den Darstellungen der Wappen wird für den verstärkten Rand gerne eine schmutzigweiße, auf jeden Fall helle Färbung verwendet, was für dickes ungefärbtes Leder spricht. So ein Holzschild ist nicht besonders dick, nur 7-15 mm bei erhaltenen Originalschilden, wobei sich die meisten im Mittelfeld von 10-12 mm bewegen.

Eine Randverstärkung gegen allzu leichtes Spalten des Holzes mit einem kräftigen Schwerthieb erscheint daher plausibel. Interessant sind auch heraldische Formen, bei denen der umlaufende Bord mit einer Reihe kleiner Kreise verziert ist – ein Nagelbord (Abb.), deutlicher Widerhall einer Randverstärkung, die hier reihum festgenagelt wurde, wobei die Nägel natürlich eine zusätzliche „Armierung“ für den Schild waren und zudem ein Abrutschen der gegnerischen Klinge vereitelten. Auch hier im Bereich der Schildrandgestaltung kann man weiter spekulieren, bei Glevenborden (Abb. unten links) bis hin zu dem lilienbesetzten Zwillingsinnenbord Schottlands.

Weiterhin sind Schilde, die mit Kugeln besät sind oder mehrere Reihen von Kugeln aufweisen, vermutlich von einer mit Nägeln beschlagenen Schildfläche abgeleitet. Beispiele sind die Motive auf den Schilden der von Closen oder der Grafen von Bentheim. Ein weiteres belegtes Beispiel ist die Entstehung des Wappens derer von Leiningen-Westerburg. Das Stammwappen Westerburg zeigt in Rot ein durchgehendes goldenes Kreuz, bewinkelt von 20 (4x 5 (2:1:2)) goldenen Kreuzchen. Interessanterweise haben die Kreuzchen sich offensichtlich aus einem Schildbeschlag in Form dicht nebeneinanderstehender Nagelköpfe entwickelt, wie auf einem sehr alten Siegel von "Sifridus de Runkel", Herr von Westerburg, von 1255 nachzuvollziehen ist. Schon 1346 aber hat ein Siegel des "Reinhard, dominus de Westerburch" die daraus entwickelten Kreuze:

Diese Überlegungen gelten für die Frühzeit des mittelalterlichen Schildes. Im 13. Jh. hatten das Schildgespänge und die anderen sichtbaren Verstärkungen ausgedient, sie sind aus den historischen Darstellungen verschwunden. Das und auch die Tatsache, daß die Schilde kleiner und leichter werden, liegt an mehreren Faktoren. Zum einen wurde die Körperpanzerung umfangreicher und besser, wodurch der Schild wieder leichter werden konnte. Zum andern liegt das am veränderten Fechtstil. Im Frühmittelalter parierte man vorzugsweise mit dem Schild, später mit der eigenen Waffe. Für Schildparaden mußte dieser mit Buckel und Gespänge geschützt sein, für Schwertparaden („Schirmschläge“) nicht. Folglich konnte man Gewicht sparen. Was blieb, sind die nun gemalten Motive als Bestandteil von Wappen.

Später wurden die Schilde professioneller hergestellt und vor allem kostbarer. Zu Zeiten höfischen Lebens und glanzvoller Turniere hatte man Sehnsucht nach repräsentativeren Schutzwaffen. Ein eigener Berufstand, der der Schilderer, der Schildmacher entstand. Farben wurden auf Kreidegrund auf sorgsam geglättetem Untergrund aufgetragen. Schildgespänge waren da schon lange vergessen. Doch den Höhepunkt dieser Zeit stellt die Lederplastik dar: Die Schildfigur wurde in Leder ausgeschnitten und mit Werg hinterfüttert, so daß sie sich plastisch vom Schild abhob. Lederschnitt-Technik war ebenfalls eine Methode zur Herstellung prunkvoller Reiterschilde im Hochmittelalter.

Literatur, Links und Quellen:
Heinrich Hussmann: Über deutsche Wappenkunst: Aufzeichnungen aus meinen Vorlesungen, Guido Pressler Verlag, Wiesbaden 1972
Wappenfibel, Handbuch der Heraldik, hrsg. "Herold", Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften, Verlag Degener, Neustadt 1981
Walter Leonhard: Das große Buch der Wappenkunst, Bechtermünz Verlag 2000, Callwey Verlag 1978
Georg Scheibelreiter: Heraldik, Oldenbourg Verlag Wien/München 2006, ISBN 3-7029-0479-4 (Österreich) und 3-486-57751-4 (Deutschland)

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