Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 367
Reutlingen - Reichsstadt

Lapidarium des Heimatmuseums in Reutlingen

Der Wappenstein, der heute ein unbeachtetes Dasein an einer Mauer im Garten des Heimatmuseums fristet, ist auf 1557 datiert. Beachtenswert sind an diesem Portalaufsatz die beiden expressiven Delphine (vgl. untere Abb.), die hier den volutenförmigen Übergang zu beiden Seiten vermitteln. Das heutige Heimatmuseum ist der ehemalige Pfleghof des Klosters Königsbronn (Kreis Heidenheim). Im Garten - Lapidarium und öffentlicher Park zugleich - werden schöne alte Gewände und Steine aufbewahrt.

Das Portal stammt von dem Zwiefaltener Klosterhof in Reutlingen, der im Jahr 1277 erstmals urkundlich erwähnt wurde, vermutlich aber älter war. Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Klosterhof zu einem feudalen Anwesen. Bei einem Brand im Jahr 1726 wurde der Klosterhof bis auf die Grundmauern vernichtet. Seine Reste mußten 1974 trotz starker Proteste aus der Bevölkerung einem Parkhaus der Parkhausgesellschaft Zwiefalter Hof GmbH weichen. Nur das Portal wurde hierher gerettet. An der Mitra und der in Resten erhaltenen Krümme des Abtsstabes kann man erkennen, daß es sich um einen Abt handelt, nämlich den Abt Nikolaus Buchner vom Kloster Zwiefalten. Das Zwiefaltener Klosterwappen (Schrägbalken und Sterne) ist heraldisch rechts und gewendet, der wachsende Widder auf dem Dreiberg ist das persönliche Familienwappen des Abtes Nikolaus Buchner, Tinkturen unbekannt. Er hatte zwei Amtszeiten, eine erste 1538-1549, danach resignierte er, wurde aber wiedergewählt und amtierte erneut 1555-1567, so daß das Baujahr 1557 in seine zweite Amtszeit fällt. Zwischen seinen beiden Amtszeiten hielt er sich auf dem Zwiefaltener Hof in Reutlingen auf, wo sich reichsstädtischer Protestantismus und monastischer Katholizismus trafen.

Hier in der Gesamtansicht des oberen Portalteiles erkennt man auch das Steinmetzzeichen: Es ist das gleiche wie am Spital, das von Hans Motz (siehe auch seine Initialen HM) aus Schwäbisch Gmünd. Er war 1555-1577 in Reutlingen tätig. Er ist der führende Bildhauer der Renaissance in Reutlingen. Sein Meisterwerk, das 1562-1563 errichtete Rathaus ging leider beim Stadtbrand verloren und existiert nicht mehr.

Das Wappen des Zwiefaltener Klosters diente dem des Landkreis Reutlingen (einstiger Einflußbereich der Grafen von Achalm) als Vorbild: In Grün zwei goldene Schrägrechtsbalken, begleitet von 7 (2:3:2) goldenen Sternen. Die Grafen von Achalm sind zu früh ausgestorben, um am sich entwickelnden Wappenwesen teilzuhaben. Ihnen wurde aber posthum durch das Zwiefaltener Wappen eines zuteil, mit dem das Kloster die beiden letzten männlichen Angehörigen des Geschlechts, die Grafen Liutold von Achalm und Kuno von Wülflingen, die das Kloster Zwiefalten 1089 gegründet hatten, ehrte. Das beschriebene Wappen ist erstmals im "Stuttgarter Wappenbuch" aus dem 15. Jh. überliefert und steht seitdem für die Grafen von Achalm und für das Kloster Zwiefalten.

Liste der Äbte (Auszug, vom Ende des 14. Jh. bis zur Auflösung)
Äbte mit Amtszeiten, Äbte mit hier gezeigtem Wappen, Lebensdaten, Blasonierung des persönlichen Wappens und Wappen-Fundstellen. Nur wenige Äbte entstammen regionalen Adelsgeschlechtern und tragen echte Familienwappen ihres Geschlechts, so wie die Äbte aus den Familien von Ehrenfels oder von Stein. Die Mehrzahl der Äbte jedoch entstammt dem bürgerlichen städtischen oder ländlichen Milieu und nicht dem Adel, und deshalb konnte nicht auf ein echtes Familienwappen zurückgegriffen werden. Die gewählten persönlichen Wappen sind aus heraldischer Sicht keine große Kunst, sondern eher schlichte, bisweilen sogar seltsame inhaltliche und graphische Konzepte, die angesichts der klaren Form und Gestaltung adeliger Wappen als persönliche heraldische Zeichen befremden. Ferner sind die Abtswappen schlecht hinsichtlich der korrekten Tinkturen und sehr schlecht hinsichtlich möglicher Oberwappen dokumentiert, sofern diese überhaupt angelegt waren. Oft findet man redende Wappen, in denen der Familienname des Abtes bildlich umgesetzt wird, so wie bei Sommerberger, Stegmüller, Rotheusler, Weinemer etc.

Literatur, Links und Quellen:
Hubert Hosch: Teil 1: Äbtebildnisse von Zwiefalten im Kontext der Selbstdarstellung in schwäbischen Klöstern: https://www.freieskunstforum.de/hosch_2017_aebtegalerie_1.pdf
Ein herzliches Dankeschön an Herrn Hubert Hosch für wertvolle Hinweise und Photos aus der Äbtegalerie.
Pius Bieri: Beda Summerberger (1662-1737) Abt OSB in Zwiefalten
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/s-z/Zwiefalten_Summerberger.html
Nikolaus Schmidler, in: Biographia Benedictina (Benedictine Biography),
http://www.benediktinerlexikon.de/wiki/Schmidler,_Nikolaus
Karl Holzherr: Geschichte der ehemaligen Benediktiner- und Reichs-Abtei Zwiefalten in Oberschwaben, Kohlhammer, Stuttgart, 1887
Hermann Josef Pretsch: Benediktinerabtei Zwiefalten - Geschichte, in: Klöster in Baden-Württemberg
https://www.kloester-bw.de/klostertexte.php?kreis=&bistum=&alle=&ungeteilt=&art=&orden=&orte=&buchstabe=&nr=534&thema=Geschichte
Pius Bieri: Klosteranlage Zwiefalten, im Projekt Süddeutscher Barock:
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Werke/s-z/Zwiefalten1.html
Pius Bieri: Ehemalige Stiftskirche und Münster Unserer Lieben Frau in Zwiefalten, im Projekt Süddeutscher Barock:
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Werke/s-z/Zwiefalten2.html
Pius Bieri: Christoph Rassler (1615-1675)
https://www.sueddeutscher-barock.ch/PDF_Bio_BH/Zwiefalten_Rassler.pdf
Christoph Rassler auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Raßler
Pius Bieri: Abt OSB Johann Martin Gleutz (1620-1692) von Zwiefalten
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/s-z/Zwiefalten_Gleutz.html
Pius Bieri: Abt OSB Ulrich V. Rothheusler (1653-1699) von Zwiefalten
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/s-z/Zwiefalten_Rothaeusler.html
Pius Bieri: Wolfgang Schmid (1655-1715)
https://www.sueddeutscher-barock.ch/PDF_Bio_BH/Zwiefalten_Schmid.pdf
Pius Bieri: Abt OSB Augustin Stegmüller (1666-1744) von Zwiefalten
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/s-z/Zwiefalten_Stegmueller.html
Pius Bieri: Reichsabt OSB Benedikt Mauz (1690-1765) von Zwiefalten
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/s-z/Zwiefalten_Mauz.html
Gregor Weinemer, in: Biographia Benedictina (Benedictine Biography),
http://www.benediktinerlexikon.de/wiki/Weinemer,_Gregor
Kloster Zwiefalten, hrsg. von der Vereinigung von Freunden der Geschichte Zwiefaltens, seines Münsters und Klosters e. V., Süddeutsche Verlagsgesellschaft Ulm, 1986, ISBN: 3-88294-090-5

Liebenswürdige und sehr kompetente Auskunft des Heimatmuseums Reutlingen (Frau Wanke) vom 1.2.2007
Allgemein:
http://www.reutlingen.de
Sehenswürdigkeiten:
http://www.stadtplan.stadt-reutlingen.de/start.html

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