Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2962
Schweinfurt (Unterfranken)

Wappen aus der Schwedenzeit in Schweinfurt

Das erste hier vorgestellte Wappen an den Schweinfurter Befestigungsanlagen befindet sich an einem frisch restaurierten Rundturm (Samtturm) am oberen Wall an der Nordspitze der Altstadt, etwas verborgen hinter dem Altenwohnheim des Kreisverbandes Arbeiterwohlfahrt am Kornmarkt. Dieser mit einer achteckigen welschen Haube bedeckte Turm bildet den nördlichen Abschluß der hier noch stückweise erhaltenen Stadtmauer, und er steht an der höchsten Stelle des Mauergürtels (daher auch der von "le sommet" abgeleitete Name). Diese Mauer ist im wesentlichen noch mittelalterlich vom Konzept her, im Gegensatz zum nur wenig später angelegten Schanzensystem. Der Turm selbst stammt aus dem 16. Jh.; 1561 wird er erstmals erwähnt. Modern wirken die drei breiten Maulscharten in Höhe der Oberkante der angrenzenen Mauern. Im obersten Stockwerk wurden wohl nachträglich große Rechteckfenster eingebaut. Bis 2019 war der Turm hinter häßlichen Garagen und noch häßlicheren Betonkonstruktionen versteckt und diente zuletzt als Gartenhaus der Familie Sattler, dann riß man das alles ab, legte den historischen Turm frei und sanierte ihn, nach zweijähriger Bauzeit und 760000 € Kosten konnte der restaurierte Turm wieder der Öffentlichkeit übergeben werden. Der Turm kann im Rahmen von Stadtführungen besichtigt werden; in den Untergeschossen gibt es eine Ausstellung von Forschungsergebnissen und Grabungsfunden.

Am unteren Teil des Rundturmes befindet sich in einer Rundbogennische mit kleinem Schutzdach das undatierte Wappen des Königreichs Schweden, es ist geviert mit Herzschild, Feld 1 und 4: in Blau drei (2:1) goldene Kronen (Tre Kronor, schwedisches Reichswappen), Feld 2 und 3: in Blau auf drei silbernen schräglinken Wellenbalken ein goldener, rotgezungter und -bewehrter, goldgekrönter Löwe (Folkunger-Wappen), Herzschild: zweimal blau-silbern-rot schräggeteilt, über allem eine goldene Garbe, mit Bändern zusammengebunden (Haus Wasa, schwed. Garbe = vasa). Hier ist der Hauptschild ganz normal geviert; in anderen Darstellungen wird er durch ein schmales goldenes Tatzenkreuz geviert. Auf dem Schild ruht oben die schwedische Königskrone. Zwei kräftige Ziervoluten rahmen den Schild seitlich ein, darüber ist jeweils ein Engelskopf angebracht. Ein dritter, geflügelter Engelskopf bildet den unteren Schmuckabschluß. Dieses Wappen wird von dem schwedischen Königshaus Wasa geführt, das insgesamt sieben Herrscher stellte, von Gustav I. Wasa (reg. 1521-1560) über Erik XIV. (reg. 1560-1568), Johann III. (reg. 1568-1592), Sigismund (reg. 1592-1599), Karl IX. (reg. 1599-1611) und Gustav II. Adolf (reg. 1611-1632) bis zu des letztgenannten Tochter, Königin Christina I. (reg. 1632-1654). Davon sind nur die beiden letztgenannten von Bedeutung für Schweinfurt.

 

Schweinfurt spielte im Dreißigjährigen Krieg eine wichtige Rolle. Die Stadt war protestantisch und hatte seinerzeit viele Glaubensflüchtlinge aus dem vom gegenreformatorisch gesonnenen Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn regierten Hochstift Würzburg aufgenommen und dadurch einen großen Bevölkerungs- und Kapitalschub erfahren. Schweinfurt hatte sich gleich zu Anfang des Krieges auf die Seite der protestantischen Union gestellt. 1620-1621 hatte die Union eine Schutztruppe in der Stadt stationiert, doch nach Niederlagen in Böhmen und in der Rheinpfalz war die Union auf dem Rückzug. Die freie Reichstadt Schweinfurt verließ das sinkende Schiff, trat aus der Union aus und war auf sich allein gestellt. Eine eigene Wehrmacht wurde organisiert, kein Bürger durfte mehr in fremden Kriegsdiensten anheuern. Die größte Gefahr war das Hochstift Würzburg, das sich liebend gerne das protestantische und freie Schweinfurt einverleibt hätte. Philipp Adolf von Ehrenberg war seit seinem Regierungsantritt besonders von dieser Idee angetan, Schweinfurt sich zu eigen zu machen und durch die von ihm eifrig betriebene Gegenreformation vom Protestantismus zu säubern. Schweinfurt suchte die Allianz mit anderen protestantischen Städten und vor allem mit Herzog Wilhelm von Sachsen-Weimar. Die katholische wie die protestantische Seite rüsteten jetzt massiv auf: Das von "Wallenstein" angeführte Heer mit 20000 Söldnern sammelte sich vor Schweinfurt. Die Stadt mußte die Anführer einquartieren und das Kriegsvolk drei Wochen lang verpflegen, eine kostspielige Last. Das kostete die Stadt zwar 27500 fl., doch politisch hatte sich das ausgezahlt: Der Kaiser war dankbar und lehnte den Wunsch des Würzburger Fürstbischofs ab. Der Kaiser stellte Schweinfurt, das irgendwie immer auf der Route durchziehender Truppen lag, sogar einen Schutzbrief gegen Einquartierungen aus. Philipp Adolf von Ehrenberg versuchte es jetzt mit Klagen gegen die Stadt zum Zwecke der Rückübertragung von Eigentum an Kirchen und Klöstern in der Stadt. Auch das blieb ohne Erfolg, weil der Einzug der Kirchengüter rechtlich einwandfrei vor dem Stichtag erfolgt war, ab dem eine Herausgabe gefordert werden konnte. Das heißt, bis 1629 litt Schweinfurt zwar extrem unter Einquartierungen, konnte sich aber dafür mit Rückendeckung des Kaisers gegen Würzburger Ansprüche behaupten.

 

Eine ganz neue Phase der Involvierung in den Krieg begann 1629: Schweinfurt gab seine offiziell neutrale Rolle auf und wurde genötigt, dem protestantischen Bund beizutreten. Sofort hatte die Stadt den Kaiser gegen sich, der sie 1631 militärisch besetzen ließ. Unter diesem Druck mußte sich Schweinfurt wieder vom protestantischen Bund lossagen. Nachdem die Stadt wieder "auf Kurs" war, zog das kaiserliche Heer nach Sachsen und ließen nur eine kleine Garnison in der Stadt. In der Zwischenzeit war König Gustav Adolf nach seinem Sieg bei Breitenfeld über die kaiserlichen Truppen ausgehend auf dem Weg zur Stadt Schweinfurt, und angesichts dieser Lage floh die kaiserliche Besatzungsmannschaft nach Würzburg. Was für eine Wahl hatte die Stadt nun? Sich mit Freuden der protestantischen Seite anzuschließen hätte die spätere Rache des Kaisers hervorgerufen. Auf der erzwungenen kaiserlichen Seite zu bleiben, hätte die gewaltsame Einnahme durch die Schweden hervorgerufen. Also fügte man sich in das Unvermeidliche, richtete sich nach den realen Machtverhältnissen der aktuellen Lage und öffnete den Schweden die Tore, als diese das forderten. König Gustav Adolf hinterließ eine Garnison und zog erst einmal weiter. Wieder mußten sie fremde Truppen verpflegen, ohne sich wirklich sicher zu fühlen. Doch der schwedische König kehrte zurück: Die Stadt lag strategisch zu gut, um sie nicht zum Stützpunkt seiner Operationen in Franken zu machen, und er sah eine wichtige Rolle der Stadt bei der Verbreitung des Protestantismus. Der König hatte die günstige Lage der Stadt und ihren Bollwerkcharakter schnell wahrgenommen. Folglich schonte er nicht nur Schweinfurt, sondern baute sie aus: Die Stadtmauer wurde verstärkt und modernisiert, der Obere Wall und der Untere Wall wurden angelegt. Und er ließ bereits erste Schanzen vor der Stadtmauer anlegen, weil es schnell gehen mußte, erst einmal nur im Westen, weil man aus dieser Richtung am ehesten einen Angriff vermutete. Auf den Wällen und Schanzen wurden Kanonen aufgestellt: Innerhalb kürzester Zeit wurde Schweinfurt wehrtechnisch auf ein zeitgemäßes Level gehoben.

Die Zeit unter König Gustav Adolf war eine gute Zeit für Schweinfurt: Es gab nicht nur eine bessere Befestigung für die Stadt, sondern auch ein neues Gymnasium. Eine evangelische Universität sollte gegründet werden; sie wurde aber nie zu Ende gebaut. Zu leiden hatte nicht die Stadt, an deren Prosperieren der König ein ureigenstes Interesse hatte, sondern die katholischen Ortschaften im Umland: Diese wurden zur Versorgung der schwedischen Truppen genötigt, und Schweinfurt wurde entlastet, bekam sogar etliche katholische Ortschaften ringsum geschenkt, dazu ehemalige Klösterhöfe und andere Höfe aus Kirchenbesitz zur Verbesserung der Einnahmesituation. Gustav Adolf eroberte Franken und verteilte die Beute an seine Freunde und Verbündeten. Schweinfurt bekam z. B. Bergrheinfeld, Dittelbrunn, Egenhausen, Garstadt, Geldersheim, Grafenrheinfeld, Grettstadt, Hambach, Heidenfeld, Hergolshausen, Kronungen, Oberwerrn, Reichelshof, Röthlein, Schnackenwerth, Waigolshausen und Weyer zur Gewinnung von Steuern und Abgaben überlassen. Schweinfurt genoß also eine privilegierte Sonderstellung unter allen Städten unter schwedischer Besatzung. Das fand ein jähes Ende, als König Gustav Adolf am 6.11.1632 in der Schlacht bei Lützen in Sachsen ums Leben kam. Schweinfurt blieb zwar in schwedischer Hand und wurde weiter befestigt, aber die besondere Protektion war vorbei, ebenso die Abgabenfreiheit.

Nachdem die Stadt Schweinfurt unter König Gustav Adolf eine privilegierte Sonderstellung hatte, folgte auf den Tod ihres Protektors zwei Jahre später ein jäher Absturz in die schlimmste Zeit, die die Stadt im Dreißigjährigen Krieg erleben mußte: 1634 rückten die kaiserlichen Truppen unter Octavio Piccolomini vor die Stadt und beschossen sie so stark, daß die verbliebenen schwedischen Truppen angesichts dieser Übermacht flohen und die Stadt keine andere Wahl hatte als zu kapitulieren: Ohne schwedische Hilfe und ohne ausreichend Munition war die Stadt nicht mehr zu verteidigen. Piccolomini besetzte die Stadt und quartierte seine komplette Söldner-Armee in den Bürgerhäusern ein, preßte die Bewohner bis aufs letzte Hemd aus und brachte nichts als Leid über die Stadtbevölkerung. Eine grassierende pestartige Seuche machte die Lage vollends unerträglich. 1635 zog Piccolomini endlich ab, doch andere kaiserliche Truppen folgten und waren kein bißchen besser. Erst nach dem Prager Frieden zogen die Kaiserlichen ab. Als nächstes versuchte der Würzburger Fürstbischof Franz von Hatzfeld, Schweinfurt zu unterjochen, und er ließ seinen Bruder, den kaiserlichen Offizier Melchior von Hatzfeld, erneut in Schweinfurt einziehen und die Bevölkerung terrorisieren. Und eine neue Pest-Epidemie suchte die  Stadt heim. Die Lage blieb verzweifelt bis 1638, als die Truppen des Melchior von Hatzfeld endlich abzogen. Es folgten Jahre, in denen Hoffnung und erneute Besatzung durch kaiserliche Truppen sich abwechselten.

Zum Showdown zwischen Kaiserlichen und Schweden kam es 1647: Bayern und Schweden hatten einen Waffenstillstand geschlossen, jetzt konnten sich die schwedischen Truppen auf die von den Kaiserlichen gehaltenen Städte konzentrieren. Zu dieser Zeit wurde Schweinfurt vom kaiserlichen Heerführer Gerolamo Lodron verteidigt. Auf schwedischer Seite war der Anführer Carl Gustav von Wrangel. Durch Beschuß wurden Mauern und Tore der Stadt so stark beschädigt, daß sie kapitulieren mußte. Für die Stadt begannen damit wieder bessere Zeiten. Die Abgabenlast wurde gering gehalten, die Infrastruktur wurde wieder hergestellt. Und jetzt wurde der Ausbau der Stadt zur Festung vorangetrieben, denn die vorangegangenen Kriegsjahre hatten deutlich gezeigt, daß die Befestigung zu schwach war. Schweinfurt mußte es aber nicht alles selbst bezahlen, sondern Wrangel finanzierte das aus schwedischem Budget. Im Norden und Westen der Stadt wurden neue Schanzen angelegt, und diese wurden nun außen in Stein gemauert.

Der zweite hier vorgestellte Wappenstein ist heute an der Westseite der altstädtischen Befestigung angebracht. Er befindet sich heute an der mittelalterlichen Stadtmauer, stammt aber von den unter Wrangel erbauten, nicht mehr existierenden Schanzenwällen aus der Mitte des 17. Jh. Man findet diesen Stein an der Außenseite der Stadtmauer entlang des Chauteaudun-Parks, zwischen der Kunsthalle und dem Stadttheater, rechterhand der drei modernen rundbogigen Durchgänge durch die Mauer vom Messeplatz in Richtung Hadergasse und Innenstadt, in der kleinen Grünanlage. Dieser Wappenstein, 540 m Luftlinie vom Wappenstein ihres Vaters in südwestlicher Richtung entfernt, kann Königin Christina I. (1626-19.4.1689, reg. 1632-1654) zugeordnet werden. Die erste der neuen Schanzen wurde damals an der Stelle des heutigen Theaters erbaut, und sie bekam zu Ehren der schwedischen Königin den Namen Christina-Schanze. Sie wurde 1647 begonnen und 1648 vollendet.

Inhaltlich ist das Wappen gleich, aber die Erhaltung ist schlechter. Hier ist keine Königskrone über dem Schild angebracht. Anders ist auch, daß wir hier eine ausführliche Inschrift unter dem Wappen haben: "DER DVRCHLEVCHTIGSTEN GROS(S) / MA(E)CHTIGSTEN KO(E)NIGIN VND FRAWLEIN FRAWLEIN / CHRISTINE DER REICHE SCHWEDEN GOTHEN VND WENDE(N) / ERW(A)EHLTER KO(E)NIGIN VND ERBPRINCESSIN GROS(S)FV(E)R/STIN IN FIN(N)LAND HERTZOGIN ZV EHESTEN VND CAR/ELEN FRAWLEIN ÜBER INGERMANLAND WAPPEN / DEN 20 NOVEMBRIS ANNO 1648 ANHERO GESET(ZT)". Oder in heutiger Sprache: Wappen der durchlauchtigsten großmächtigsten Königin Christine, Königin der Reiche der Schweden, Goten und Wandalen, Großfürstin von Finnland, Herzogin von Estland und Karelien sowie Herrin von Ingria, am 20.11.1648 hier angebracht. Ingria ist die lateinische Form der schwedischen Bezeichnung Ingermanland, das eine historische Provinz im nordwestlichen Rußland ist und sich rund um das heutige Sankt Petersburg erstreckte. Schneckenförmig eingedrehte Ranken flankieren den Schild; unten begleitet ihn ein geflügelter Engelskopf.

Königin Christina (1626-1689) war in mehrerer Hinsicht eine außergewöhnliche Frau. Als einziges Kind und Thronfolgerin trat sie das Erbe von König Gustav Adolf an. Als ihr Vater, den sie wegen dessen Engagement in Deutschland kaum sah, auf dem Schlachtfeld von Lützen fiel, war sie noch keine 6 Jahre alt. Die Regierungsgeschäfte führte ein fünfköpfiger Vormundschaftsrat unter Führung von Kanzler Axel Oxenstierna (1583-1654). Sie wurde nach dem Willen ihres Vaters wie ein Junge erzogen, lernte Fechten und Schießen. 1644 wurde sie volljährig und übernahm die Regierungsgeschäfte. Ihre Stimme trug entscheidend dazu bei, daß der Westfälische Frieden den Dreißigjährigen Krieg beenden konnte. Sie war hochgebildet und sprach acht Sprachen. Unter ihrer Herrschaft wurde der Stockholmer Hof zu einem der glanzvollsten und aufwendigsten Europas. Künster, Dichter und Denker aus ganz Europa kamen an ihren Hof. Sie sammelte Bücher und Kunst. Das Problem war jedoch Geld: Der Krieg ihres Vaters war teuer genug gewesen, wichtige Einnahmequellen waren bereits zur Deckung der Kriegskosten von der Krone verkauft worden, und ihre eigene Hofhaltung war alles andere als schlicht: Woher Geld nehmen? Erstens: Weniger ausgeben. Dazu halbierte man zeitweise das Gehalt der Beamten. Oder man zahlte den Teilen der Armee, die gerade nicht kämpften, einfach keinen Sold. Zweitens: Mehr einnehmen. Standeserhebungen wurden als Mittel zur Generierung von Einnahmen entdeckt, die Anzahl der Adeligen, Barone und Grafen stieg rapide. Man kann es auch so ausdrücken: Die Königin betrieb einen schwunghaften Handel mit Adelspatenten, um Geld in die Kasse zu spülen. Drittens: Wenn die Gelegenheit gut ist, auch mal nicht bezahlen, sondern klauen. Noch während der letzten Atemzüge des Dreißigjährigen Krieges, als schon die Diplomaten den Westfälischen Frieden vorbereiteten, eroberten die schwedischen Heere unter General Königsmarck Prag, und Christina ließ den Hradschin plündern. Es wurde der größte Kunstraub der Geschichte, denn sie ließ unter anderem 760 Gemälde, 270 Statuen, 30000 Münzen, 300 wissenschaftliche Instrumente und 600 Kristalle nach Stockholm schaffen. Und sie ließ nicht nur die weltberühmte Sammlung Kaiser Rudolfs II. in der Prager Burg, sondern auch, wenn man schon gerade am Rauben war, die Rosenberg-Bibliothek und das Waldsteinpalais und andere Paläste des Prager Burgbergs plündern.

 

Und dazu tat die "Minerva des Nordens" Dinge, die damals undenkbar waren: Sie befreite sich von den Zwängen ihrer Zeit und machte, was ihr gefiel. Und das blieb nicht darauf beschränkt, gerne Männerkleidung zu tragen und sich der Bärenjagd und anderen maskulinen Vergnügungen hinzugeben. Sie entsprach auch nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen, sich einen Ehemann zu suchen und den Fortbestand der Dynastie zu sichern: Sie hatte offensichtlich eine richtige Abneigung gegen die Ehe, vor allem gegen die Rolle der Frau im damaligen Eheverständnis. Es gab Gerüchte, sie sei lesbisch, es gab Zweifel an ihrem Geschlecht, sie nahm es locker. Wieder andere Gerüchte dichteten ihr ein exzessives nichteheliches Sexualleben an. Vermutlich war es ihr wichtiger, ein intelligentes gegenseitiges Umwerben zu genießen als tatsächlich Sex zu haben, vor allem aber hatte sie einen Widerwillen gegen die Rolle, in der damalige Ehemänner ihre Frau gene gehabt hätten. Deshalb wurde es auch nichts mit Heirat und Nachwuchs, und der Klatsch war dieser unabhängigen und unkonventionellen Persönlichkeit egal. Sie erzwang die Ernennung ihres Vetters Karl Gustav von Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg zum Thronfolger, der als Karl X. später den Thron besteigen sollte.

Die 1650 gekrönte Christina legte schließlich 1654 ihre Krone schon wieder nieder und reiste durch Europa, als "ambulante Königin". Sie hatte auf Thron und Krone verzichtet, blieb nur Königin ihres Hofstaats. Wer nun meint, das sei genug an Unkonventionalität, wird bald eines Besseren belehrt: Sie, die Tochter des wichtigsten protestantischen Anführers im Dreißigjährigen Krieg, die Königin der führenden protestantischen Macht des Kontinents, eines Landes, das Zehntausende Leben im konfessionell geprägten Krieg geopfert hatte, eines Landes, in dem die Ausübung der römisch-katholischen Riten verboten war, liebäugelte schon länger mit dem Übertritt zum Katholizismus. Natürlich war das Projekt Konversion zunächst streng geheim, Rom schickte zwei Jesuiten nach Stockholm, die sich als reisende Kaufleute tarnten, und in den Machtzentralen Rom, Paris und Madrid wußte man mehr als in Stockholm. 1654 konvertierte sie am Weihnachtsabend diskret in Brüssel. 1655 ließ sie sich in Innsbruck öffentlich katholisch taufen. Sie nannte sich fortan Maria Alexandra. Die Konversion war genau wie ihr Thronverzicht ein Akt der Selbstbefreiung, eine weitere Etappe auf dem Weg in die Unabhängigkeit. Sie ließ sich mit ihrem Hofstaat in Rom nieder. Der Papst hielt zwar nichts von ihr (Zitat: "eine Königin ohne Reich, eine Christin ohne Glauben und eine Frau ohne Scham"), aber diese Konversion war eine viel zu gute Propaganda, um sie nicht für sich zu nutzen. Für die Schweden, die sich bisher schon sehr gewundert hatten, war die Konversion ein echter Schock.

Auf ihren Reisen wurde Christina begleitet von ihrem Favoriten, Günstling und vielleicht auch Liebhaber Marchese Giovanni Monaldeschi (1626-10.11.1657), einem smarten italienischen Abenteurer, den es nach Schweden verschlagen hatte, wo er Hofstallmeister wurde und ab und zu diplomatische Missionen übernahm. Christina wurde Teil einer Intrige des französischen Kardinals Jules Mazarin, der ihr einen Deal anbot: Sie sollte den Thron in Neapel besteigen und dafür den König von Frankreich zu ihrem Erben machen. Hintergrund war, daß Frankreich gerade gegen Spanien Krieg führte, und Neapel gehörte eigentlich zu Spanien, und Mazarin wollte so durch die Hintertür Spanien schaden. Wegen ständiger Geldsorgen ging Christina darauf ein und schloß 1656 in Compiègne einen Geheimvertrag mit Mazarin. Sie wohnte zeitweise in Schloß Fontainebleau. Dort ereignete sich aber 1657 etwas, das alles ruinierte: Sie hatte mittlerweile einen neuen Favoriten, Graf Ludovico Santinelli di Pesaro, Anführer ihrer Leibgarde. Giovanni Monaldeschi, der auch nach Fontainebleau mitgereist war, wollte den Rivalen ausstechen und fälschte Briefe im Namen von Santinelli mit Indiskretionen. Seinerseits hatte er sich aber auch mit einer anderen Geliebten getröstet, der er brieflich mehr anvertraute als klug war. Doch der Schuß ging nach hinten los: Christina enttarnte nicht nur die Fälschungen, sondern konnte ihm selbst umfangreiche briefliche Indiskretionen nachweisen, insbesondere zum Projekt Neapel und zu ihrem Privatleben. Sie ließ ihn von Soldaten ihrer Garde nach der Aussprache vor Ort hinrichten, wegen eines von ihm getragenen Kettenhemds erst im vierten Anlauf mit einem Schwertstoß. Sie sah sich im Recht, über ihre eigenen Leute zu Gericht zu sitzen. Der Skandal war riesig, denn Christina war Gast auf einem Schloß des Königs, und sie selbst war zu dem Zeitpunkt kein regierendes Staatsoberhaupt mehr. Vielmehr hat sie sich das Fällen eines Todesurteils auf Privatbesitz des französischen Königs angemaßt. Damit war sie sowohl in Paris als auch im offiziellen Rom nicht mehr erwünscht. In Frankreich war sie fortan Persona non grata. Über Neapel brauchte man gar nicht mehr zu reden, das war damit komplett vom Tisch. Sie zog in Rom in den Palazzo Riario auf der anderen Flußseite, und quälte sich für den Rest ihres Lebens mit Geldsorgen. Ab und zu hatte sie interessante politische Ideen, wie z. B. 1668 nach der polnischen Krone zu greifen, was aber keiner mehr ernst nahm. Sie starb im Alter von 62 Jahren und wurde im Petersdom in den Vatikanischen Grotten bestattet. Das ist die Geschichte einer außergewöhnlichen Frau, die die damals radikalste Selbstbefreiung von gesellschaftlichen Zwängen und Rollenerwartungen betrieb und genau daran scheiterte.

Zurück zu den Schweinfurter Befestigungen: Als nächstes nahm man nach den westlichen und nordwestlichen Schanzen den Ausbau der Befestigungen im Bereich des Obertores in Angriff, also unterhalb des Samtturmes. Der dritte Wappenstein an Schweinfurts Befestigungsanlagen ist genau dort an der Nordspitze der Altstadt zu finden, wo noch am deutlichsten im Stadtbild zu erkennen ist, wie der älteren, im wesentlichen noch mittelalterlichen Stadtmauer mit geraden Mauerzügen und Rundtürmen tiefer im Gelände unter Carl Gustav von Wrangel (5.12.1613-24.6.1676) ein damals hochmodernes Schanzensystem vorgebaut wurde. Der Philosophenweg genannte Fußweg führt außen an der spitzen, genau nach Norden weisenden Bastion entlang, heute inmitten idyllischer Grünanlagen. An der Ostseite dieser Obertorschanze gibt es nach ca. 100 m einen Rücksprung, wo die Bastion endet und die Kurtine beginnt, und genau an dieser Stelle ist der dritte hier vorgestellte Wappenstein angebracht. Dieser Stein befindet sich quasi 72 m Luftlinie vom ersten Wappenstein in nordöstlicher Richtung entfernt. Er erinnert daran, daß der bis ins 16. Jh. zurückgehenden Stadtmauer längs des Oberen Walls unter dem schwedischen General Carl Gustav von Wrangel, der Schweinfurt 1647-1648 besetzt hielt, diese Schanze vorgebaut wurde.

 

Ein Gedenkstein trägt folgende Inschrift: "Der Hoch Wohlgebohrner herr / Obers Carol Gustav Wrangel der / Königlich May. und reich Schweden / Raht Genneral und feldt Marschalls / in deudschlantt herr auf Schock Klö/ster und Rostorf Nieden. Das werck / ist am 1. Juny 1648 Jar zu bau/en angefangen wordene". Hinter "Schock Klö/ster" verbirgt sich Schloß Skokloster bei Uppsala. Mit "Rostorf" ist Rostorp gemeint. Das Stammwappen der deutschbaltischen Familie von Wrangel zeigt in Silber eine schwarze Zinnenmauer, auf dem Helm mit schwarz-silbernen Decken eine schwarze Zinnenmauer zwischen einem silbernen Flug. Ursprünglich war das ein oben gezinnter Balken; das Motiv wandelte sich. Die Familie gehört zum baltischen Uradel. Im 13. Jh. erscheint sie in Estland, ihre Mitglieder waren Vasallen des Erzstiftes Riga. Es gibt sehr viele Standeserhebungen in den verschiedenen Linien, so wurde 1653, 1654, 1680, 1747 und 1765 der schwedische Freiherrenstand erlangt, 1651, 1693 und 1751 und 1778 der schwedische Grafenstand, 1709 der spanische Grafenstand und 1864 der preußische Grafenstand. Oberst Wrangel wurde von Königin Christina 1651 als Dank für seine Verdienste zum Grafen von Salmis erhoben, später tauschte er seine Grafschaft gegen eine andere und war ab 1665 Graf von Sölvesborg. Er war auch auch Freiherr von Lindeberg, Freiherr von Ludenhof, Herr von Skokloster, Bremervörde, Wrangelsburg, Spycker, Rappin, Ekebyhov, Gripenberg und Rostorp. Die Wappenvermehrungen, von denen die Familie etliche erhielt, werden beschrieben im Siebmacher Band: Ost Seite: 216 Tafel: 63.

Carl Gustav Wrangel war der  Sohn von Hermann Wrangel (1585-1643), schwedischer Feldmarschall und Generalgouverneur von Livland, und dessen Frau, Katharina Gryp. Seit 1627 war er in Kriegsdiensten, damals war er erst ca. 13 Jahre alt. Er kämpfte erst unter seinem Vater, dann unter Johan Banér, schließlich unter Lennart Torstensson. 1638 wurde er Generalmajor, später war er Generalfeldzeugmeister. 1646 wurde er Feldmarschall und Reichsrat. Die Schweden blieben auch noch etwas nach dem Westfälischen Frieden und zogen erst am 3.8.1649 vollständig aus Schweinfurt ab. Wrangel wurde noch 1648 Generalgouverneur von Schwedisch-Pommern. Als Reichsfeldherr nahm er am Zweiten Nordischen Krieg teil. 1657 wurde er Reichsadmiral. 1664 wurde er erneut Reichsfeldherr. Im Schwedisch-Brandenburgischen Krieg war er 1674 Oberbefehlshaber der schwedischen Truppen. Er starb zwei Jahre später in seinem Schloß Spycker auf Rügen. Schweinfurt war nach dem Dreißigjährigen Krieg eine gebrochene Stadt: Die Zeit nach 1649 ist in Schweinfurt Abgesang, Ausverkauf, Niedergang einer einst stolzen freien Reichstadt.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: 1. Wappen: https://www.google.de/maps/@50.048181,10.2326214,19z - https://www.google.de/maps/@50.048181,10.2326214,166m/data=!3m1!1e3
2. Wappen:
https://www.google.de/maps/@50.0448289,10.2272572,19z - https://www.google.de/maps/@50.0448036,10.2272344,74m/data=!3m1!1e3
3. Wappen:
https://www.google.de/maps/@50.0485117,10.2332944,19.46z - https://www.google.de/maps/@50.0485683,10.2331506,111m/data=!3m1!1e3
Wappen Schwedens:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wappen_Schwedens - https://sv.wikipedia.org/wiki/Sveriges_riksvapen
Haus Wasa:
https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_Wasa - https://sv.wikipedia.org/wiki/Vasa%C3%A4tten
König Gustav Adolf II. von Schweden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_II._Adolf
Zur Schweinfurter Geschichte:  Schweinfurtführer Peter Hofmann: Der Dreißigjährige Krieg in Schweinfurt:
https://www.schweinfurtfuehrer.de/geschichte/1600-1700/
König Gustav Adolf:
https://www.schweinfurtfuehrer.de/persönlichkeiten/militärische-personen-des-30-jährigen-krieges-in-schweinfurt/adolf-gustav/
Zelal Tas: Schweinfurter Stadtbefestigung und der Denkmalschutz, Seminararbeit:
https://www.schweinfurtfuehrer.de/sehenswertes/stadtmauer/seminararbeit-schweinfurter-stadtbefestigung-und-der-denkmalschutz/
Rundgang Stadtmauer Ost:
https://www.schweinfurtfuehrer.de/stadtbesichtigungen/rundgang-stadtmauer-ost/
Rundgang Stadtmauer:
https://www.schweinfurtfuehrer.de/stadtbesichtigungen/rundgang-stadtbefestigung/
Königin Christina von Schweden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Christina_(Schweden)
Berthold Seewald: Das Schwert durchbohrte die Kehle ihres Liebhabers, Artikel in der WELT vom 30.7.2020  -
https://www.welt.de/geschichte/article203226720/Koenigin-Christina-Das-Schwert-durchbohrte-die-Kehle-ihres-Liebhabers.html
Hakan Baykal:  Christina von Schweden: Die radikalste Selbstbefreiung, veröffentlicht auf Spektrum.de am 31.10.2020
https://www.spektrum.de/news/die-radikalste-selbstbefreiung/1786187
Richard Hemmer und Daniel Meßner: General Königsmarck und der größte Kunstraub aller Zeiten, veröffentlicht auf Spektrum.de am 14.5.2020 https://www.spektrum.de/podcast/general-koenigsmarck-und-der-groesste-kunstraub-aller-zeiten/1732472
Prager Kunstraub:
https://de.wikipedia.org/wiki/Prager_Kunstraub
Marchese Giovanni Monaldeschi: https://de.wikipedia.org/wiki/Giovanni_Monaldeschi
Verena von der Heyden-Rynsch: Mord in Fontainebleau, Artikel in der Zeit vom 21.9.2000 https://www.zeit.de/2000/39/Mord_in_Fontainebleau/komplettansicht?utm
Carl Gustav Wrangel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gustaf_Wrangel
Familie von Wrangel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wrangel
Wappen Wrangel: Otto Hupp, Münchener Kalender 1927

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