Bernhard Peter
Heraldischer Stil und heraldische Ästhetik

Gute heraldische Praxis: der heraldische Stil
Wie kommt man zu einem guten und richtigen Wappen? Egal, in welchem kunsthistorischen Stil eine Darstellung erfolgt, hochgotisch, spätgotisch oder im Stile der Renaissance, es herrscht immer der heraldische Stil, dessen wesentliche Charakteristika auf dieser Seite anhand von plakativen Beispielen erklärt werden sollen. Und der heraldische Stil ist immer einfach, klar und ausdrucksstark. Die Einhaltung des heraldischen Stiles ergibt ein gutes Wappen, und für die Aufnahme und Eintragung in renommierte Wappenrollen ist die Einhaltung des heraldischen Stils conditio sine qua non. Im Zweifel stelle man sich immer die Frage: Wäre die Darstellung an einem echten Ritter der Spätgotik als Schild vorstellbar?

Prinzip: Gute Fernwirkung
Alle diese Stilmittel lassen sich unter einem gemeinsamen Aspekt zusammenfassen: Gute Fernwirkung. Alle unten im Detail weiter ausgeführte Stilelemente dienen nur dazu, diese optimale Fernwirkung zu erreichen. Und ob man jetzt in historischer Zeit tatsächlich ein Wappen aus größerer Entfernung erkennen wollte, sollte oder mußte oder in heutiger Zeit die Verwendung in verkleinerter Form auf Siegeln, Stempeln oder Prägungen etc. einkalkuliert, beides führt zu den selben Gestaltungsregeln guter Erkennbarkeit selbst bei kleinem oder entfernen Objekt. Deshalb ist eine der wichtigsten Grundregeln, mit möglichst wenig Farben, Schildteilungen und Figuren auszukommen (weniger ist mehr).

Merkmal: Stilisierung
Das Erfordernis der Fernwirkung zwingt zur Stilisierung durch Vereinfachung und Übertreibung charakteristischer Kennzeichen. Figuren werden plakativ dargestellt, heraldisch stilisiert. Naturgetreue Darstellungen sind in der Heraldik die Ausnahme. Wenn sie vorkommen, werden sie als "natürliches" Objekt beschrieben, und selbst dann sind sie noch kein Abbild der sichtbaren Wirklichkeit. Stilisiert heißt nicht abstrahiert, wenn Gegenstände dargestellt werden, bleiben diese gegenständlich. Aber durch Vereinfachung der Umrißlinien, Weglassen unwichtiger Details und Übertreibung bzw. Vergrößerung wichtiger Charakteristika, z. B. der Bewehrung von Tieren (hierunter zählen Zähne, Klauen, Krallen, Schnäbel, Hufe, Hörner, Geweihe) oder der arttypischen Merkmale bestimmter Bäume oder Blumen (Staubgefäße, Blätter und Früchte) wird eine bessere Erkennbarkeit aus großer Entfernung bzw. in verkleinerter Form erzielt.

Ohne weitere Angaben ist die Vorgabe immer der sog. heraldische Stil. Die Ausnahme ist eine "natürliche Darstellung". Insofern wird eine stilisierte Lilie immer nur als "Lilie" angesprochen und weder als "stilisierte Lilie" noch als "heraldische Lilie" - solche Bezeichnungen sind redundant und unsinnig. Die Selbstverständlichkeit ist nämlich die heraldische Stilisierung, das wird nicht durch Worte hervorgehoben. Die Ausnahme ist die "natürliche Darstellung", eine solche wird hervorgehoben, weil sie abweichend vom Normalfall gezeichnet wird.

Ich möchte jedoch warnen vor einer übermäßigen Strapazierung der natürlichen Darstellung. Das Wort "natürlich" ist in den letzten drei Jahrhunderten zu einer Art Ausrede geworden, sich über Regeln der Heraldik hinwegzusetzen. Denn die Befürworter "natürlicher" Darstellungen sehen ein Wappen zu sehr als ein Bild, ein Gemälde - tatsächlich soll es aber ein vorrangig kontrastreiches Zeichen mit guter Fernwirkung sein. Wir verlieren genau dieses Prinzip und gewinnen eine größere Nähe zum realen Gegenstand, Tier oder Pflanze, die der klassischen Heraldik in dieser Form eigentlich nie ein vorrangiges Ziel war. Wir müssen leider damit leben, daß aus der Zeit des 18. und 19. Jh. viele Wappen mit natürlichen Darstellungen überliefert sind und auf ihre Weise Zeitzeugen einer Entwicklung sind, mittlerweile selber wieder Geschichte sind. Aber heute wollen wir uns doch lieber auf die klare Zeichenhaftigkeit rückbesinnen, die das Wesen gotischer Heroldskunst ist, und da haben die von manchen zeitgenössischen Heraldikern exzessiv genutzten "natürlichen" Darstellungen keinen Platz.

Auch bei weitgehender Abstrahierung und Abkehr von naturalistischer Darstellung bleibt die Heraldik hinreichend gegenständlich, im Unterschied zu moderner Gebrauchsgraphik.

Merkmal: optimale Raumausnutzung
Grundsatz: Der Raum des Schildes oder Feldes soll so weit wie möglich ausgefüllt werden. So reicht die heraldische Figur im Schilde nahezu bis zum Schildrand, zur Not auch ungeachtet der tatsächlichen Proportionen des Vorbildes. Die natürlichen Größenverhältnisse von Schildfiguren bleiben unberücksichtigt; maßgeblich ist eine gute Raumausnutzung. Wenn z. B. in einem gespaltenen Schild rechts ein Turm und links eine Nähnadel abgebildet werden, können und sollen beide raumausnutzend und damit gleich hoch sein. Eine Orientierung an den tatsächlichen Größenverhältnissen findet nicht statt. Dies gilt auch für einzelne Teile einer gemeinen Figur, so daß eine Verzerrung der Proportionen zwecks besserer Raumausnutzung soweit stattfinden kann, als die Erkennbarkeit nicht beeinträchtigt wird. So kann besagte Nadel beipielsweise dicker als ihr Vorbild gezeichnet werden, gerade um ihre Erkennbarkeit zu gewährleisten. Denn ein Wappen soll aus angemessen großer Entfernung (die sog. "200-Schritt-Regel", wobei die 200 soviel heißt wie "viel") noch klar erkennbar sein. Überlappungen schaden der Klarheit, wenn es geht, ist es guter Stil, sie zu vermeiden.

Merkmal: Pars pro toto als Stilmittel
Der leichteren Erkennbarkeit dient auch das Verfahren, häufig nur charakteristische Einzelteile darzustellen (Pflugschar statt Pflug, Turm statt Burg, Baum statt Wald, Stadttor statt ganze Stadt, Rad statt Wagen, Eichel statt Eiche). Pars pro toto bedeutet: "Das Teil für das Ganze". Weniger ist bei der Gestaltung mehr, die Beschränkung auf das Wesentliche macht den heraldischen Stil aus. Warum eine ganze Linde abbilden, wenn die Botschaft auch über ein einzelnes Lindenblatt transportiert werden kann?

Merkmal: keine Perspektive
Perspektive innerhalb des Wappenschildes ist äußerst verpönt. Insbesondere architektonische Motive werden im Schild flach und ohne Tiefe dargestellt. Leitsatz ist die gute Erkennbarkeit, nicht die Korrektheit des Abbildes der sichtbaren Wirklichkeit. Es handelt sich bei einem Wappen um ein Zeichen, um ein Musterbild, nicht um ein Gemälde, und auch nicht um ein Photo. Genauso wird das Objekt möglichst in klaren Farben dargestellt. Abtönungen oder Schraffuren zum Zwecke der Darstellung von Perspektive sind verpönt. Gegen diese Regeln verstoßen leider viele in moderner Zeit entstandene Städte- und Gemeindewappen. Der Verzicht auf Perspektive und das Gebot der Zweidimensionalität gilt nicht für das Oberwappen, insbesondere die Helmzier und die Decken dürfen und sollen dreidimensional dargestellt werden.

Merkmal: Typisierung
Unheraldisch ist die Darstellung bestimmter Gegenstände oder Objekte, insbesondere Gebäude. Wenn eine Stadtmauer abgebildet wird, ist das eine typische Mauer, aber nicht die von Dinkelsbühl oder von Andernach. Ein Schloß ist ein beliebiges Schloß, nicht das Schloß Weißenstein oder Schloß Weilerbach. Ein Baum ist ein Baum und nicht genau die Moorbirke oder Zitterpappel, die rechts hinter dem Rathaus steht. Die Heraldik verwendet abstrakte Musterbilder im Sinne einer Typisierung und bildet nicht ab. Das Wappen von Zypern mit dem tatsächlichen Inselgrundriß ist also unschön.

Heraldik bildet nicht die sichtbare Wirklichkeit ab. Ansichtskartenheraldik (Landschaften, szenische Darstellungen, konkrete architektonische Objekte) ist ganz schlechter Stil - wer das wünscht, möge einfach seinen Photoapparat verwenden und sich die Photos anschauen. In der Heraldik ist das fehl am Platze, denn heraldische Kunst typisiert und photographiert nicht ab.

Besonders anfällig für Fehler in dieser Hinsicht ist die Kommunalheraldik, denn Gemeinden möchten häufig genau die Gebäude im Wappen wiederfinden, die das Ortsbild prägen. Der Heraldiker möge diesen Wünschen widerstehen, denn Heraldik ist die Kunst der Sinnbilder, nicht die der wirklichkeitsgetreuen Abbilder. Gemeinden, die das nicht verstehen, mögen lieber Postkarten drucken lassen.

Merkmal: Zeitgemäße Objekte
Das Motiv muß in die Zeit passen oder zeitlos sein! Es verbieten sich daher alle gemeinen Figuren, die unverwechselbar der Neuzeit angehören: Autos, Flugzeuge, Propeller, Heißluftballons etc, auch wenn in der Verfallszeit der Heraldik viele solche unheraldischen Symbole leider Eingang in den heraldisch umgesetzten Formenkanon gefunden haben. Auch bei Zeichen, die vor der heraldischen Zeit entstanden sind, sollte Zurückhaltung geübt werden: Merkurstäbe, Germanenhelme, Wikingerschiffe, römische Streitwagen, griechische Tempel, germanische Fibeln, Tüllenbeile, Liktorenbündel etc. sind unheraldisch. Im abgebildeten Beispiel: Eine Wurfparte ist eine altbekannte Waffe und ist ein schönes Wappenmotiv, ein Heißluftballon, dessen erstes Exemplar die Brüder Montgolfier im Jahre 1783 in Annonay konstruierten und fahren ließen, dagegen nicht!

Ein besonders schlechtes Beispiel ist das frühere Wappen des Landkreises Karlsruhe, das in gespaltenem Schild vorne in Gold den roten Schrägbalken der Markgrafen von Baden und hinten in Blau über einem erniedrigten silbernen Wellenbalken ein silbernes Atomsymbol hatte. Bei allem Stolz auf die Leistungen des deutschen Kernforschungszentrums - das Bohrsche Atommodell wurde zuerst 1913 formuliert. So wurde es geführt seit dem 25.1.1961 bis zur Landkreisreform, ein neues Wappen ersetzte das beanstandete am 31.8.1973. Auch wenn es sich auf das Kernforschungszentrum in der Gemeinde Leopoldshafen bezog, so etwas gehört nun wirklich nicht in ein klassischen Regeln gehorchendes Wappen.

Merkmal: Schrift und Buchstaben
Zur Entstehung der Heraldik war Lesen und Schreiben bei Kriegsleuten nur gering verbreitet. Buchstaben auf Wappenschilden sollten vermieden werden. Die Heraldik spricht durch Farben und Bilder, nicht durch Texte! Buchstaben und Monogramme oder auch Zahlen/Ziffern sind nicht bildhaft. Der Grund für das Verpöntsein der Verwendung in Schildbildern ist mangelnde Unterscheidungskraft. Es lassen sich wie bei so vielen Regeln immer Ausnahmen finden, doch das ändert nichts an der praktischen Tatsache, daß Buchstaben oder Wörter auf Entfernung schlecht zu unterscheiden sind, und nichts an der historischen Tatsache, daß Buchstaben oder Wörter nie eine breite Tradition in Gotik und Renaissance hatten und einfach nicht in die Welt der Ritter passen, und genausowenig an der ästhetischen Tatsache, daß Buchstaben oder Wörter nicht zu einem Gesamtkunstwerk passen, das seine stilistische Einheit aus bildhaften oder abstrakten Zeichen bezieht und nicht aus Symbol-Codes mit feststehenden zugeordneten Bedeutungen. Auch Binärschrift oder Morsecode entspräche nicht dem heraldischen Stil.

Berühmte Verstöße: Stadtwappen von Rom (siehe Abb., SPQR, senatus populusque romanus), Rhodesier-Orden von Italien, Auenheim (Bas Rhin, Frankreich, in Silber der schwarze Großbuchstabe "M", begleitet oben von einem schwarzen Tatzenkreuz und rechts, links sowie unten von je einem schwarzen griechischen Kreuz), das Wappen der Stadt Breslau (enthält in der 1530-1938 und ab 1990 geführten Form den Großbuchstaben "W") oder ein früher zeitweise geführtes Wappen der Stadt Göttingen (in Schwarz ein goldener, golden gekrönter Großbuchstebe "G") haben ebenfalls einzelne Buchstaben in ihrem kommunalen Wappen. Ein ganzes Wort findet sich im Stadtwappen von Karlsruhe (in Rot ein silbern bordierter goldener Schrägbalken, auf dem das Wort "FIDELITAS" in schwarzen Großbuchstaben steht). Es lassen sich zwar immer historisch bedingte Erklärungen finden, so bei Breslau der Bezug zum Namen Wratislaw (Stadtgründer) bzw. zu Wratislavia, bei Karlsruhe zur Devise des badischen Hausordens, doch weder wird das Ergebnis dadurch ästhetischer noch dem heraldischen Stil gerechter.

Wenn man sich bei der Stiftung eines Wappens von Buchstaben inspirieren lassen will, ist es heraldisch sinnvoller, die Form der Buchstaben als Schildteilung zu realisieren. So etwas ist eindringlicher und klarer zu erkennen. Beispiel für den Buchstaben S: Als isolierter Buchstabe, insbesondere wenn in guter Absicht historisierende Schrifttypen verwendet werden, wirkt das "S" deplaciert und ist ohne gute Fernwirkung, es wirkt irgendwie phantasielos. Als diagonale Schildteilung im Hirtenstabschnitt dagegen wirkt es dynamisch und überzeugend. So wurde ein Heroldsbild geschaffen, welches meistens wirkungsvoller ist als eine gemeine Figur!

Analog lassen sich viele innovative Heroldsbilder gewinnen, wenn man eine Buchstabenvorlage konsequent zur Schaffung alternierender Farbflächen benutzt, dazu gibt es eine eigene Seite.

Merkmal: Flächen schlagen Linien
Bei der Heraldisierung von Hausmarken sollte die Marke nicht einfach in einen Schild gesetzt und tingiert (farblich ausgefüllt) werden, sondern nach Möglichkeit heraldisch als Schildteilung umgesetzt werden. Eine Art Heroldsbild so zu gewinnen ist immer klarer und auf weite Sicht besser zu erkennen als eine in den Schild gesetzte tingierte Marke.

Merkmal: Rhythmisierung als Stilmittel
Eines der Hauptprobleme von Wappendarstellungen ist die Vermeidung von Unübersichtlichkeit. Rhythmische Anordnung ist ein gestalterisches Mittel, das zu vermeiden - gleiche Abstände, gleiche Winkel, Ausrichten der Objekte aufeinander. Eines der besten Beispiele für einen Rhythmus, der gut aussieht, ist Feh (links Abb.). In der Tat ist es ein kleinteiliges Motiv, aber durch die exakte Wiederholung wird das Muster auch aus größerer Entfernung als ein geschlossenes Motiv wahrgenommen. Die zum Verständnis notwendige Information ist minimal, eigentlich ist der "Generator" eine Eisenhutform, mehr nicht, und dazu der Rhythmus der Anordnung. Oder ein mit Lilien besäter Schild (rechte Abb.) - die Information ist ebenfalls minimal: Lilie und besät. Und so wird der Schild, obwohl hier insgesamt 35 Objekte zu sehen sind, optisch als eine einzige Einheit wahrgenommen.

Merkmal: Einheitlichkeit:
Unübersichtlichkeit eines Wappenentwurfes ist schnell gegeben, wenn mehrere gemeine Figuren in einem Schild miteinander kombiniert werden. Die sicherste Art, zu vermeiden, daß ein Wappen wie Kraut und Rüben aussieht, ist die Verwendung entweder nur runder oder nur eckiger Formen, nur stilisierter oder nur natürlicher Formen. Wenn dagegen in den einzelnen Feldern, oder noch schlimmer: in einem einzigen Feld eckige und runde Formen, natürliche und stilisierte Formen wild kombiniert werden, zerfällt der Schild optisch, das Sammelsurium wird nur mühsam durch den Schildrand zusammengezwungen. Oder wenn man Elemente verschiedener Dicke und Form kombiniert, etwa einen Wellenbalken mit einem Stab und einem Schrägfaden: 3 Dicken, 2 Formen, 3 Richtungen. Wappenentwürfe sollten gestalterisch kohärent wirken, dann ist das Gesamtbild auch harmonisch.

Merkmal: Kontrast und Sparsamkeit bei den Farben
Bei der Farbwahl ist weniger mehr. Ein Wappen hat mindestens eine Farbe und ein Metall, und das ist eigentlich schon der Idealzustand. Eine weitere Farbe oder ein weiteres Metall sind möglich, viel mehr sollte es jedoch nicht werden. Je weniger Farben verwendet werden, desto besser ist der Kontrast. Diesem Ziel dient auch das Verbot von Nuancierungen oder von Pastellfarben. Das Prinzip der verwechselten Farben ist ein beliebtes Stilmittel, um mit wenigen Farben guten Kontrast bei ausgewogener Farbverteilung zu erreichen. Zur Hebung des Kontrastes werden Bewehrungen bei Tieren (Klauen, Zähne etc.), Zungen bei Tieren, Früchte bei Pflanzen etc. abweichend tingiert - solche Nebenfarben fallen nicht unter die hier genannte Regel. Weitere Ausführungen siehe "Farben, Farbregel".

Merkmal: Stilreinheit
Bei der Darstellung eines Vollwappens mit Helm, Helmzier und Helmdecken muß man auf eine gewisse Stilreinheit achten, sie sollten eine künstlerische Einheit bilden. Die einzelnen Elemente sollten zueinander passen und stilistisch der selben Zeit zuzuordnen sein.

Ziel: Harmonie
Auch die wörtlichste Einhaltung von wie auch immer abgefaßten Regeln macht noch kein gutes und schönes Wappen, das wird es erst durch vorhandenes Gefühl für Ästhetik, für das, was paßt und was nicht paßt, für Harmonie, für gutes Layout und gute Gesamtwirkung - egal in welchem Stil. Wer das nicht fühlt, wird es auch durch noch so penibles Regelstudium nicht erjagen.

Gute heraldische Praxis: die Berliner Erklärung
Eine bündige Zusammenfassung der relevanten Gestaltungsrichtlinien findet sich in der "Berliner Erklärung über heraldische Gestaltungsgrundsätze" vom 24.4.2009, anläßlich der 31. Tagung der Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften vom Heroldsausschuß der Deutschen Wappenrolle formuliert. Diese 10-Punkte-Liste ist als Maßgabe für als heute angemessen angesehenen Stil anzusehen. Sie legt Richtlinien und Ziele guter Darstellung fest: Gute Fernwirkung, Stilisierung, Pars pro toto, raumfüllende Darstellung, Kontrastreichtum, Typisierung, Umgang mit Zahlen und Buchstaben, Größenverhältnisse, Oberwappendarstellung, stilistische Vorbilder.

Heraldische Ästhetik und ihre Stilmittel
Wie kommt man zu einem noch besseren Wappen? Eine immer wieder zu Diskussionen führende Frage ist die nach der Ästhetik. Es geht hier ausdrücklich NICHT um heraldische Richtigkeit wie bei obigen Regeln. Sondern es geht in diesem Abschnitt um Ästhetik und die Theorie des Schönen. Ein Wappen sollte nicht nur dem Anspruch genügen, im Sinne des heraldischen Stiles richtig zu sein, sondern es sollte auch ästhetischen Ansprüchen genügen.

Ästhetik ist ein Phänomen der Wahrnehmung und daher individuell. Es lassen sich daher keine für jeden verbindlichen Regeln feststellen, weil Ästhetik vor allem ein kulturelles Phänomen ist. Innerhalb einer Kultur gibt es aufgrund der gewachsenen geschmacklichen Prägung jedoch meistens eine gewisse Häufung dessen, was von vielen Menschen als ästhetisch empfunden wird. Ästhetik ist die Lehre von der wahrnehmbaren Schönheit und spielt als solche eine wichtige Rolle in der Kunst. Und da Heraldik immer auch ein bißchen Kunst ist, wenn sie dem Auge gefallen soll, ist Ästhetik wichtig. Kommen wir zu der schwierigen Frage: Was gefällt dem Auge? Oder sagen wir: Was verarbeiten unsere Seh- und Hirnnerven besonders gerne, so daß der Eindruck "schön" entsteht? Hier ein Essay zu dem Thema aus eigener Sicht.

Überraschenderweise verarbeiten unsere Nerven besonders gerne, was wir besonders schnell verarbeiten können. Wir empfinden als schön, was wir auf eine kurze, in sich logische Information zurückführen können.

Nehmen wir ein ganz einfaches Beispiel: Wir empfinden den Innenraum des Kölner Domes als schön. Trotz der Fülle an Linien und Strukturen läßt sich nämlich die Information erstaunlich verdichten: Die meisten Linien sind parallel, man braucht sich nur eine Richtung zu merken, nämlich die nach oben. Alle Joche sind gleich konstruiert, man braucht sich nur 1 Joch zu merken. Es gibt eine vertikale Teilung in drei Zonen, wobei die Säulen gleich sind, man braucht sich nur die unterschiedliche Fenstergröße zu merken. Und alle Säulen bestehen aus Diensten gleichen Prinzips, muß man sich auch nur einmal merken. Oder sagen wir pointiert: Wir empfinden als schön, was durch seine innere Logik der Faulheit unseres Denkens entgegenkommt. Dabei darf es auch komplex sein, wenn es in sich die Möglichkeit zur Vereinfachung trägt. Oder überspitzt ausgedrückt: Besonderes Lob verdient sich in der Kunst, wer es schafft, ein komplexes Gebilde durch dessen innere Logik so einfach wahrnehmbar wie möglich zu machen.

Genauso läßt sich das auf die Heraldik übertragen: Wir empfinden als schön, was wir schnell wahrnehmen können. Wir empfinden als schön, was durch "innere Logik" der Information im Grunde wenig komplexe, zu merkende Details enthält. Oder pointiert gesagt: Schön ist, was sich möglichst kurz blasonieren läßt.

Ein paar plakative Beispiele, die jeweils in beiden Ausführungen heraldischen Regeln wie Farbregel etc. entsprechen und meistens auch blasonierbar sind (womit keine Aussage über den nötigen Aufwand getroffen ist), wovon aber nur jeweils eine Ausführung ästhetisch ist:

Stilmittel: Parallelität und Ordnung
1.) Parallelität empfinden wir als ästhetisch. Es entspricht unserem Ordnungsempfinden, daß ein Schild "aufgeräumt" aussieht und gleiche Objekte gleich liegen. Das vermindert zudem den Aufwand des Erfassens, denn man muß sich nur merken: Art, Lage, Zahl. Nicht: Zahl, Art, Lage 1, Lage 2, Lage 3.

Stilmittel: Ausgewogenheit optischer Gewichte
2.) Ausgewogenheit von Flächen empfinden wir als ästhetisch. Die optischen Gewichte sollen sich die Waage halten. Nichts soll überhand nehmen. Das Auge (Gehirn) empfindet optisch gleich große oder im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen stehende Flächen als angenehm, weil sie logisch zueinander passen.

Stilmittel: Optimierung des optischen Schwerpunktes
3.) Der optische Schwerpunkt spielt eine Rolle. Markante Punkte sollten im optischen Schwerpunkt liegen, des Schildes, des Feldes, des Platzes. Der Gebrauch von Blasonierungsprinzipien wie "verschoben", "erniedrigt", "erhöht", "angeschoben" sollte daher so sparsam wie möglich sein und sich auf das Notwendigste beschränken.

Stilmittel: Ähnlichkeit der Eigenschaften
4.) Objekte sollten in ihren Eigenschaften zueinander passen. Der Charakter von Objekten kann verschieden sein, aber wenn man sich für einen Charakter entscheidet, sollte er insgesamt bestimmend sein. Wenn man dreieckige Elemente mit fünfeckigen und mit runden Objekten kombiniert, verstört das unser ästhetisches Empfinden. Ein einheitlicher Grundcharakter einer Kompostion wird immer als ästhetisch empfunden (in der Musik mischt man ja auch nicht in einem Lied taktweise C-Dur und a-moll)

Stilmittel: Ähnlichkeit der Zähligkeit
5.) einheitlicher Charakter der Gesamtkompostition: Der Charakter der zugrundeliegenden Symmetrieoperation kann verschieden sein, aber wenn man sich für einen Charakter entscheidet, sollte er insgesamt bestimmend sein. Ein Heroldsbild mit 6er-Symmetrie kombiniert man logischerweise mit 3 oder 6 gemeinen Figuren, aber nicht mit 5 oder 7. Und wenn die Basiskonstruktion eine 8er-Symmetrie ist, folgen logischerweise die gemeinen Figuren auch einer 8er- oder 4er-Symmetrie, eine 5er-Symmetrie verstört unsere Wahrnehmung.

Stilmittel: Rhythmus und Musterbildung
6.) Wir empfinden Rhythmus als ästhetisch. Rhythmus bedeutet gleiche Abstände gleicher Objekte. Im positivsten Sinne nehmen wir die Reihung von Säulen einer gotischen Kathedrale wahr (s.o.). Versuchen wir dieses ästhetische Prinzip in der Heraldik: Ein mit Lilien besäter Schild beinhaltet eigentlich nur die Information "Lilie, besät" - mehr nicht. Er wirkt schön. Man bedenke dagegen die Fülle der Informationen, die nötig ist, die rechte Abb. zu beschreiben - das Gehirn macht dicht und sagt "mag ich nicht, gefällt mir nicht, unästhetisch".

Stilmittel: Ausrichtung und Fluchtpunkte
7.) Ausrichtung, gefluchtete Objekte: Das Auge sucht Fluchtpunkte. Durch Fluchtung oder imaginäre Verlängerung markanter Linien oder Punkte werden andere markante Punkte erreicht. Dadurch werden die Informationen logisch miteinander verknüpft, und es entsteht Kohärenz. Auch dies empfindet das Auge als angenehmer als eine Fülle unabhängiger Informationen.

Ästhetik und damit Schönheit bedeutet, daß wir eine einfache inhärente Logik wahrnehmen, die uns die Erfassung und Speicherung der Informationen erleichtert. Ästhetik ist ein kultureller Anspruch. Heraldik sollte diesem Anspruch genügen. Für mich ist Ästhetik untrennbar mit dem sog. heraldischen Stil verbunden, weil beides Ausdruck unserer Kultur ist.

Literatur, Links und Quellen:
Herrn Dr. Joachim Tretkowski ein herzliches Dankeschön für wertvolle Hinweise zur Buchstabenheraldik in kommunalen Wappen
Heinrich Hussmann:
Über deutsche Wappenkunst: Aufzeichnungen aus meinen Vorlesungen, Guido Pressler Verlag, Wiesbaden 1972
Wappenfibel, Handbuch der Heraldik, hrsg. "Herold", Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften, Verlag Degener, Neustadt 1981
Walter Leonhard: Das große Buch der Wappenkunst, Bechtermünz Verlag 2000, Callwey Verlag 1978
Georg Scheibelreiter: Heraldik, Oldenbourg Verlag Wien/München 2006, ISBN 3-7029-0479-4 (Österreich) und 3-486-57751-4 (Deutschland)

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