Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2768
Neufra (zu Riedlingen, Landkreis Biberach)

Die katholische Pfarrkirche St. Peter und Paul in Neufra: Kirche und Schlußsteine

Die heutige Pfarrkirche war die einstige Schloßkirche, denn Neufra hatte seit 1275 eine Pfarrei für die Burg und die Mühle, und die damalige Kirche war der Vorgängerbau der heutigen. Das Patrozinium war 1386 allein St. Peter und ist seit 1481 St. Peter und Paul. Das Kirchenpatronat war seit 1390 ein Lehen der Herren von Krenkingen. Das Dorf Neufra gehörte ursprünglich noch nicht zum Pfarrsprengel, sondern gehörte bis 1522 kirchlich zu Ertingen.

Die spätgotische Kirche ist nach Osten ausgerichtet und besitzt ein breites, rechteckiges Schiff und einen eingezogenen, dreiseitig abgeschlossenen Chor mit Sterngewölbe und mit drei Buntglasfenstern des Ulmer Malers Wilhelm Geyer. Unter dem Chor befindet sich eine Krypta, die von einem Vorgängerbau übernommen worden ist, aber ihre heutige Form erst 1922 erhielt und als Kriegergedächtniskapelle eingerichtet ist. Die schmalen Spitzbogenfenster der Kirche sind ohne Maßwerk. Die Schlußsteine des Chorgewölbes tragen Halbfiguren von Maria, St. Petrus und St. Paulus. Die heutige Kirche wurde 1517 begonnen. Eine Änderung gab es in der Barockzeit, denn der Turm entstand 1724-1735, er ist im Nordwesten dem Schiff vorgelagert. Der frühere Turm befand sich ursprünglich an der Stelle der heutigen Sakristei im Nordosten.

Ein schmaler Seitenanbau befindet sich auf der Südseite. Die Langhaus-Südwand öffnet sich zu diesem Anbau mit drei Spitzbögen, getragen von zwei Achteckpfeilern. Der Anbau ist dreijochig und besitzt ein Kreuzrippengewölbe mit drei Wappenschlußsteinen (s. u.). Im Westgiebel ist eine Sandsteintafel eingelassen mit einer fünfzeiligen, stark verwitterten und stellenweise geflickten Inschrift, die sinngemäß besagt: Im Jahre des Herrn 1517 auf den 12. Tag des Monats April haben die wohlgeborenen Schweickhart von Gundelfingen Freiherr, Frau Elisabeth eheliche Gemahlin geborene Gräfin zu Montfort und Frau Apollonia Gräfin von Montfort geborene Gräfin von Kirchberg zusammen den ersten Stein gelegt an dieser Kirche, Gott sei allen gnädig. Alle drei Personen sind hier mit ihrem Wappen verewigt, zuoberst der Inhaber der Herrschaft, darunter die beiden Frauen, auf dem besseren Platz die Ehefrau, auf dem letzten Platz die Mutter. Dieses Ensemble war ursprünglich wohl über dem Eingang angebracht und wurde später hoch in den Giebel versetzt.

 

Schweickhart (Schwicker) von Gundelfingen (-1546) war der letzte der Herren von Gundelfingen. Er war der Sohn von Georg Freiherr von Gundelfingen und Walburg Gräfin von Kirchberg. Walburg war die Schwester des letzten Grafen von Kirchberg, Philipp. Schweickhart hatte Elisabeth Gräfin von Montfort-Rothenfels geheiratet. Somit sind zwei der drei Wappen solche unmittelbar vom Erlöschen bedrohter Familien. Alle drei Einzelwappen sind namentlich beschriftet, das obere vollständig "(... schweickha)rd v(on) gunde/lfingen fr(e)yh(err)" und auf drei Seiten umlaufend, die beiden unteren nur mit dem Familiennamen "mont fort" und "kirch berg".

Die Familie der Herren von Gundelfingen hatte sich nach 1250 in drei Linien geteilt, einerseits eine Linie zu Hayingen mit Otterswang, andererseits eine Linie zu Hohengundelfingen und drittens in die Linie Niedergundelfingen mit der Burg Nieder- oder Neugundelfingen. Die Linie Niedergundelfingen existierte am längsten. Sie teilte sich erneut in die Linien, eine mit dem Besitz Niedergundelfingen, eine mit dem Besitz Ehestetten und Burg Ehrenfels oberhalb von Zwiefalten, und eine dritte mit Münzdorf und Burg Derneck. Aus dieser Linie zu Derneck entstammte Stephan von Gundelfingen, der 1399 Neufra erwarb. Seine Nachkommen machten Neufra zum Sitz der Familie und erwarben verlorenen Besitz der anderen Linien wieder zurück, 1414 Hohengundelfingen als Pfand, 1442 Hayingen durch Rückkauf.

Das Kircheninnere hat noch weitgehend den Charakter der Erbauungszeit bewahrt. Genau die gleichen drei Wappen wie außen begegnen uns innen in der Kirche auf den Schußsteinen des Deckengewölbes. Der Wappenschild der Herren von Gundelfingen zeigt in Gold einen roten, schrägrechtsgelegten, durchgehenden und beiderseits gedornten Ast, hier seitenverkehrt (gewendet) dargestellt, und in ungewohnter Weise abwärts gedornt, nicht wie sonst üblich aufwärts. Es fällt auf, daß der Freiherr sowohl eine Gräfin als Mutter als auch zur Frau hatte. In der Tat hatten sich die Mitglieder der Familie ein hohes Ansehen erarbeitet. Der letzte Gundelfinger war Rat Herzog Ulrichs von Württemberg und nach der Vertreibung des Herzogs österreichischer Statthalter in Stuttgart. Für Österreich war er als Kommissar mehrfach an den Verhandlungen mit den aufständischen Bauern beteiligt. Und nach Beendigung des Bauernkrieges versuchte er Härten für die unterlegene Seite zu verhindern. Außerdem war er Rat des Königs Ferdinand. Einem Aufstieg auch der hochangesehenen Gundelfinger in den Grafenstand hätte eigentlich nichts entgegengestanden, allein das Aussterben mangels Söhnen verhinderte das.

Der Wappenschild der Grafen von Montfort, einer sich von den Pfalzgrafen von Tübingen ableitenden Familie, zeigt in Silber eine rote, dreilätzige Kirchenfahne, oben mit drei Ringen zur Aufhängung versehen. Hier handelt es sich um die Linie von Montfort-Rothenfels. Diese Montfort-Rothenfels haben sowohl eine Verbindung zu den Freiherren von Gundelfingen als auch zu den Grafen von Kirchberg. Graf Johann von Montfort-Rothenfels-Wasserburg (-29.6.1529) zu Langenargen hatte Apollonia von Kirchberg (-1517) geheiratet, die Tochter des Grafen Philipp von Kirchberg (-1510), des letzten männlichen Familienmitgliedes. Und seine Schwester Elisabeth von Montfort-Rothenfels war die Ehefrau des Schweickhart von Gundelfingen, die hier als Mit-Bauherrin in Erscheinung tritt.

Der Wappenschild der Grafen von Kirchberg zeigt in Silber eine golden gekrönte Frauengestalt (hier mal keine Mohrin), mit schwarzem Gewand mit Hängeärmeln, in der Rechten eine silberne, golden verzierte Inful (Bischofsmütze, Mitra) mit herabhängenden goldenen Bändern emporhaltend. Die Familie von Kirchberg ist sowohl mit den Freiherren von Gundelfingen als auch mit den Grafen von Montfort verbunden. Walburg von Kirchberg, die Schwester des Grafen Philipp von Kirchberg (-1510), des letzten männlichen Familienmitgliedes, hatte Schweickhart von Gundelfingen geheiratet. Deshalb treten beide hier als Bauherren der Kirche auf. Und Philipps Tochter, Apollonia von Kirchberg (-1517), hatte Graf Johann von Montfort-Rothenfels-Wasserburg (-29.6.1529) zu Langenargen geheiratet. Diese Dreiecksbeziehung zwischen den Familien bildete die Basis für die Adoption der Maria Bowart durch Schweickhart von Gundelfingen, was näher beim Epitaph für Graf Georg II. von Helfenstein erläutert wird.

Die Grafen von Kirchberg hatten ihre Stammburg in Unterkirchberg (heute Illerkirchberg, Alb-Donau-Kreis) und verlegten diese vor 1100 auf einen Bergsporn (Oberkirchberg). Das Wappen der Kirchberger mit der Frauengestalt taucht ab der Mitte des 13. Jh. auf. Zunächst hält sie einen Helm oder eine Lilie in der Hand, später eine Mitra. Vermutlich liegt dieser Wechsel darin begründet, daß Bruno von Kirchberg Bischof von Brixen wurde, und das derart veränderte Wappen schenkte er an seinen Neffen Konrad von Kirchberg. Der Mode der Zeit entsprechend wurde die Frauenfigur in den farbigen Wiedergaben meist als Mohrin dargestellt. Zu besten Zeiten gehörte den Grafen von Kirchberg praktisch das ganze Gebiet südlich von Ulm. Otto und Hartmann von Kirchberg gründeten und stifteten 1093 die Benediktinerabtei in Wiblingen, welche bis zuletzt die Grablege der Familie blieb. Eine Ausnahme ist Apollonia von Kirchberg, die hier in Neufra bestattet ist. Der Allodialbesitz der Kirchberger lag etwa zwischen den Flüssen Rot (Donau) und Roth. Die Familie teilte sich im Mittelalter in die Linien Kirchberg-Kirchberg (Hauptlinie), Kirchberg-Brandenburg (namengebendes Schloß bei Regglisweiler) und Kirchberg-Wullenstetten. Die erste Linie erlosch 1366, das Erbe kam an die von Matsch. Die zweite Linie erlosch 1322. Die dritte Linie rückte 1366 als Hauptlinie nach und erlangte den Stammbesitz größtenteils wieder und bildete die überlebende Linie, aus der die hier relevanten Personen stammen. Mit dem Erlöschen der Grafen von Kirchberg mit Philipp im Jahr 1510 entstand zwar prinzipiell die Erbfrage. Zur Erbmasse gehörte die sich zwischen den Flüssen Donau, Roth, Iller, Riß, Schussen, Boos und Aitrach erstreckenden Grafschaft Kirchberg, ein Reichslehen, aber nicht mehr, denn die war schon wegen notorischer Finanzknappheit abhanden gekommen. Die beiden letzten männlichen Familienmitglieder waren die hochverschuldeten Wilhelm und Philipp von Kirchberg. Der früher verstorbene Wilhelm verkaufte seinen Besitz bereits 1481 nach seinem Bankrott, der zuletzt verstorbene Philipp nach zähen Auseinandersetzungen 1498 an Herzog Georg von Bayern-Landshut. König Maximilian I. zog im Zuge des Landshuter Erbfolgekrieges 1504 die Grafschaft ein. Da auch er in notorischer Geldnot war, verpfändete er sie 1507 gegen 50000 fl. an Jakob Fugger gen. der Reiche, weshalb diese Familie auch das Kirchberger Wappen in das ihrige übernahm, konsequent in der Darstellung als Mohrin; ab 1526 nannten sie sich Grafen von Kirchberg und Weißenhorn. Graf Philipp blieb bis 1510 Verwalter der ehemaligen Familiengüter - was für ein Abstieg für ein gräfliches Haus, nach Verkauf nur noch Pfleger, also Verwaltungsbeamter, für die Bayernherzöge auf dem einst eigenen Besitz in Weißenhorn tätig zu sein. Er durfte nur die Herrschaft Illertissen behalten; nach seinem Tod folgten in Illertissen die Vöhlin.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@48.1263432,9.4762169,19z - https://www.google.de/maps/@48.1263643,9.4761239,147m/data=!3m1!1e3
Seelsorgeeinheit Riedlingen:
https://dekanat-biberach.drs.de/seelsorgeeinheiten/16-riedlingen.html
Kindler von Knobloch, Julius (Bearb.) / Badische Historische Kommission (Hrsg.), Heidelberg, 1898, Oberbadisches Geschlechterbuch:
http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kindlervonknobloch1898ga - Band 1 http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kindlervonknobloch1898bd1 - Band 2 http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kindlervonknobloch1898bd2 - Band 3 http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kindlervonknobloch1919bd3
Die letzten Gundelfinger:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kindlervonknobloch1898bd1/0495
Karl Heinrich Freiherr Roth von Schreckenstein: Stephan Bowart und seine Schwester Maria Bowart, Sohn und Tochter des Claude Bowart, Seigneur de Gomignies und der Johanna Gräfin von der Marck, als Erben des Freiherren Schweikhart von Gundelfingen, in: Württembergisches Jahrbuch für Statistik und Landeskunde, Stuttgart 1864, S. 356-370 -
https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10019778/bsb:9503352?page=370
Neufra auf Leo-BW:
https://www.leo-bw.de/en_GB/web/guest/detail-gis/-/Detail/details/ORT/labw_ortslexikon/17485/Neufra+-+Altgemeinde%7ETeilort
Herren von Gundelfingen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gundelfingen_(Adelsgeschlecht)
Grafen von Montfort:
https://de.wikipedia.org/wiki/Montfort_(Adelsgeschlecht)
Grafen von Kirchberg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Grafen_von_Kirchberg_(Schwaben)
Grafen von Kirchberg im Historischen Lexikon Bayerns:
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kirchberg,_Grafen_von
Sarah Hadry: Grafen von Kirchberg, in: Residenzenkommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Hrsg.), Dynastisch-topographisches Handbuch, 4. Bd.: Grafen und Herren im spätmittelalterlichen Reich, Kiel 2012, 757-769
Gebhard Spahr: Oberschwäbische Barockstraße I, Ulm bis Tettnang, Geschichte, Kultur, Kunst, Verlag Isa Beerbaum, Weingarten, 2. Auflage 1979, S. 87
Veröffentlichung der Innenaufnahmen aus der Kirche mit freundlicher Genehmigung von Herrn Pfarrer
Walter Stegmann vom 23.3.2021, wofür ihm an dieser Stelle herzlich gedankt sei

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