Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 3130
Eberhardzell (Landkreis Biberach)

Das Neidegg-Epitaph in der Pfarrkirche St. Maria Mater Dolorosa

Die gotische Kirche war eine 18 m lange, einschiffige Saalkirche mit Turm. Beim Umbau 1456 bekam die damals "Unserer Lieben Frau" geweihte Marienkirche einen spätgotischen Chor mit Kreuzrippengewölbe und floraler Malerei, der bis heute erhalten ist. Nach der 1713 erfolgten Erweiterung und Barockisierung der Ausstattung war die Kirche St. Margaretha geweiht. 1968 entschloß man sich zu einem Umbau. Der Neubau war fast fertig, als 1971 ein verheerender Brand durch Schweißarbeiten im Dach ausbrach und das ganze Mittelschiff zerstörte. Insgesamt ersetzte man das alte Mittelschiff durch einen modernen, nach Norden und Süden großräumig erweiterten Kirchenraum mit einem mehrflächigen Zeltdach aus Spannbeton. Die Umbaumaßnahmen waren 1973 abgeschlossen. Somit präsentiert sich die Kirche heute als Mischung aus einem spätgotischen Chor mit sich abwechselnden Spitzbogenfenstern und Strebepfeilern, einem modernen Mittelbau und einem barock geschweiften Westgiebel mit einem Turm mit Oktogonaufbau und Zwiebelhaube. Das Patrozinium wurde auf St. Maria Mater Dolorosa geändert. Zur Seelsorgeeinheit Eberhardzell gehören außer St. Maria Mater Dolorosa Eberhardzell noch die Kirchen Zum hl. Erzengel Michael in Füramoos, St. Ottilia in Mühlhausen und St. Michael in Oberessendorf. Zu den wenigen alten Ausstattungsstücken der historischen Kirche gehört ein an der linken Chorseitenwand aufgestelltes Epitaph für Victor von Neidegg.

Der Verstorbene wird in voller Rüstung mit hochgeschobenem Visier des Helmes dargestellt. Die Rechte ist erhoben und hält einen Streitkolben. Die Linke ruht am Schwertgriff. Über dem Kopf ist ein die ganze Breite des Innenfeldes einnehmender filigraner Maßwerkbaldachin aus drei sich überschneidenden Kielbögen angebracht. Die auf drei Seiten umlaufende und oben links beginnende Inschrift lautet: "Anno d(o)m(inmi) m ccccc ii Starb der edel / Vn(d) vest Victor vo(n) neydegg zu eberhart zell am zinßtag nach ... // Sant lucyen tag des(sen) se(e)le got(t) gena(e)dig Un(d) barm hertzig sein wolle". Mit Zinßtag ist der Dienstag gemeint. St. Lucien-Tag ist der 13. Dezember, der 1502 auf einen Dienstag fiel. Der Dienstag danach war im Jahre 1502 der 20. Dezember.

 

Eberhardzell war vom 15. Jh. bis zum Anfang des 16. Jh. im Besitz der Familie von Neidegg/Neideck/Neudeck. Die Familie stammt eigentlich aus Tirol, und dort gibt es mehrere Wappenvorkommen, z. B. auf einem Grabstein in Kufstein an der Dreifaltigkeitskirche oder an der Churburg in Südtirol. Ein weiteres Wappenvorkommen kann an Burg Ottenstein in Niederösterreich nachgewiesen werden. Eine Linie dieser Familie kam nach Vorderösterreich. Von Österreich hatte die Familie Eberhardzell und Schweinhausen 1478-1520 zu Lehen, außerdem war sie in Besitz von Bellamont und zweier Höfe zu Rehmoos. Die von Neidegg bauten die im 13. Jh. errichtete Burg ca. 650 m nördlich der Kirche auf einem Bergsporn über dem Tal der Umlach ab 1487 weiter aus. Diese Burg wurde auch Herlisberg genannt. Wenige Jahre nachdem Eberhardzell wegen Erlöschens der Familie im Mannesstamm 1502 durch Verkauf 1520 an die Truchseß von Waldburg gekommen war, wurde diese Burg während des Bauernkriegs 1525 zerstört, ebenso wie der Rittersitz Schweinhausen. Ab ca. 1600 ließ Heinrich Truchseß von Waldburg aus dem Material der Ruinen Neidegg und Schweinhausen die Heinrichsburg erbauen, ca. 250 m südwestlich der Burgruine Neideck, wo nur noch klägliche Mauerreste erhalten sind. Die letzte Erwähnung der Burg Neideck datiert von 1607 im Zuge des Abbruchs, danach gerieten die Reste in Vergessenheit.

Der letzte Neidegger zu Eberhardzell war dieser Victor von Neidegg (-20.12.1502), der Sohn von Sigmund von Neideck (-20.12.1492) und seiner ersten Frau, Ursula von Epps zu Wagrain. Victor wurde 1494 mit Eberhardzell und Schweinhausen belehnt. Er heiratete Amalie von Riedheim. Das Paar hatte keine Söhne, so daß die Familie mit Victor im Mannesstamm erlosch. Seine vier Töchter bzw. deren Ehemänner, die am 6.5.1518 mit Eberhardzell und Schweinhausen belehnt wurden, verkauften den ererbten Besitz 1520 an Georg Truchseß von Waldburg. Die Genealogie der Familie wird bei Kindler von Knobloch so dargestellt: Besagte vier Töchter waren 1.) Kunegunde, die Georg von Rodt geheiratet hatte, 2.) Veronika, die Marquard von Ems geheiratet hatte, Vogt zu Bludenz, 3.) Amalia, die Ludwig von Nippenburg geheiratet hatte, und 4.) Maxentia, die Albrecht von Stamp zum Ehemann hatte.

 

Das hier komplett gewendete Wappen der von Neidegg (von Neideck) zeigt in Silber schrägbalkenweise drei schräggestellte rote Pilgermuscheln (Jakobsmuscheln). Das Wappen wird dargestellt im Berliner Wappenbuch, im Scheiblerschen Wappenbuch (Bayerische Staatsbibliothek Cod. icon. 312 c), Folio 311 und 443, im Siebmacher Band: WüA Seite: 250 Tafel: 141, im Alberti S. 540, Siebmacher I, sowie im Aschaffenburger Wappenbuch Tafel 52 Seite 55 (vermehrtes Wappen). Für das zugehörige Kleinod gibt es mehrere Varianten, im Berliner Wappenbuch ist es zu rot-silbernen Decken ein roter Spitzhut (hoher Hut), auf dem silbernen Stulp die drei roten Muscheln, aus einer goldenen Krone an der Spitze ein silberner Federbusch. Dem entspricht die hiesige Darstellung. Weitere Varianten des Oberwappens sind in der Fischnaler-Wappenkartei gelistet. Im Siebmacher I, 39 ist die Familie als Neudeck von Rastenberg gelistet.

Die ab und zu zu findende Variante mit rotem Feld und silbernen Muscheln ist nach Quellenlage ein Artefakt. Dennoch hat Eberhardzell 1929-1975 genau diese Variante als Kommunalwappen geführt, ehe die alte Gemeinde Eberhardzell mit drei weiteren Orten zur neuen Gemeinde Eberhardzell vereinigt wurde und am 24.8.1981 ein neues Wappen bekam, in Silber zwischen einem roten Schildhaupt und einem roten Schildfuß ein schreitender, hersehender, rotgezungter schwarzer Löwe. Dieses Wappen vereint den österreichischen Bindenschild mit einem Löwen der Truchseß von Waldburg. Zufällig sind die Farben auch die der von Neidegg. Auf der anderen Seite des Ritters befindet sich noch ein zweiter Wappenschild für seine Ehefrau auf dem Geschlecht der von Riedheim, in Silber ein aufspringender, naturfarbener oder schwarzer Esel. Die nicht dargestellte Helmzier wäre zu schwarz-silbernen Decken der Esel wachsend.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@48.0022323,9.8233053,20z?entry=ttu - https://www.google.de/maps/@48.0022323,9.8233053,84m/data=!3m1!1e3?entry=ttu
Eberhardzell auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eberhardzell
Eberhardzell auf Leo-BW:
https://www.leo-bw.de/en-GB/detail-gis/-/Detail/details/ORT/labw_ortslexikon/17168/Eberhardzell
Seelsorgeeinheit Eberhardzell:
https://se-eberhardzell.drs.de/kirchengemeinde-eberhardzell.html
Pfarrkirche Eberhardzell auf Kirchbau:
https://www.kirchbau.de/300_datenblatt.php?id=6626&name=keiner
J. Siebmachers Großes Wappenbuch Band E. Württembergisches Adels- und Wappenbuch. Im Auftrage des Württembergischen Altertumsvereins begonnen von Otto v. Alberti, Bauer & Raspe 1975 (Reprint), 1112 Texts. mit 4132 Wappen + 122 S. Figurenverzeichnis, online:
http://de.wikisource.org/wiki/Württembergisches_Adels-_und_Wappenbuch - https://www.dilibri.de/urn/urn:nbn:de:0128-1-91047 - https://www.dilibri.de/rlb/content/structure/2536369 S. 540-541
von Riedheim auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Riedheim_(Adelsgeschlecht)
Genealogie der von Neidegg bei Kindler von Knobloch:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kindlervonknobloch1919bd3/0196/image,info
Vgl. auch Alfred F. Wolfert, Aschaffenburger Wappenbuch, Veröffentlichung des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg e. V., Aschaffenburg 1983, Tafel 52 Seite 55
Wappennachweise in der Fischnaler-Kartei:
http://wappen.tiroler-landesmuseen.at/index34a.php?id=&do=&wappen_id=21487&sb=neideck&sw=&st=&so=&str=&tr=99
http://wappen.tiroler-landesmuseen.at/index34a.php?id=&do=&wappen_id=21476&sb=neideck&sw=&st=&so=&str=&tr=99
http://wappen.tiroler-landesmuseen.at/index34a.php?id=&do=&wappen_id=21482&sb=neideck&sw=&st=&so=&str=&tr=99
http://wappen.tiroler-landesmuseen.at/index34a.php?id=&do=&wappen_id=21485&sb=neideck&sw=&st=&so=&str=&tr=99
http://wappen.tiroler-landesmuseen.at/index34a.php?id=&do=&wappen_id=21484&sb=neideck&sw=&st=&so=&str=&tr=99
http://wappen.tiroler-landesmuseen.at/index34a.php?id=&do=&wappen_id=21486&sb=neideck&sw=&st=&so=&str=&tr=99
http://wappen.tiroler-landesmuseen.at/index34a.php?id=&do=&wappen_id=21493&sb=neideck&sw=&st=&so=&str=&tr=99
http://wappen.tiroler-landesmuseen.at/index34a.php?id=&do=&wappen_id=21491&sb=neideck&sw=&st=&so=&str=&tr=99
Wochentagsberechnung:
https://www.timeanddate.de/datum/wochentag?day=13&month=12&year=1502
Bauforschung BW:
https://www.bauforschung-bw.de/objekt/id/156965223415/kath-pfarrkirche-st-margarete-in-88436-eberhardzell/

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